Ein Dickkopf mit starker Stimme

Kelly Clarkson war der erste US-"Superstar". Nun will sie beweisen, dass sie als Sängerin keine Eintagsfliege ist.

Düsseldorf. Dieses Gefühl kennt Kelly Clarkson gut: Noch mal ganz von vorn anfangen zu müssen. Dabei hätte es so leicht sein können mit dem neuen Album der ersten Gewinnerin der Talentshow "American Idol". Einfach ein paar Balladen mit gitarrengetränktem Popsound mischen, hier ein sanft gehauchtes "I Love You", dort ein bisschen rebellischer Selbstfindungskrawall - fertig ist das Hitalbum.

Beim Vorgänger "Breakaway" hat das ja auch geklappt. Nummer eins in den Staaten, endlich der lang ersehnte Durchbruch in Europa mit "Since u been gone" obendrauf noch jede Menge Preise, darunter zwei Grammys. Wäre das nicht noch mal möglich gewesen?

Die Frage stellte sich auch Clive Davis, Boss des Musiklabels "J Records", bei dem Clarkson unter Vertrag steht. Nachdem er ihr neuestes Werk "My December" vollständig durchgehört hatte, bestellte er seinen Schützling zum Rapport ein. Das sei viel zu rockig, zu uneingängig, beschwerte er sich. Den Veröffentlichungstermin verschob er kurzerhand auf Ende Juni, geändert hat sich auf dem Album allerdings fast nichts. Es sind 14 widerborstige Rocksongs geblieben.

Clarkson schrieb an fast allen mit, bestimmte den ruppigen Stinkefinger-Stil, setzte ihr Ausnahme-Organ gut in Szene. Es erstaunt nicht, dass die 25-Jährige sich nicht reinreden lassen will: Ihr Dickkopf soll legendär sein - genauso wie ihr Ruf als Mimose.

Selbst in ihrer Heimat blies der Wind plötzlich härter. Singles floppten, mit Produzent Fuller kam es zum Bruch, und Kritiker sahen bestätigt, dass Castingshows lediglich Eintagsfliegen hervorbringen.

Aber Clarkson blieb am Ball. Wahrscheinlich weil sie in ihrer Jugend und bei ihrem ersten Kontakt mit der Musikbranche im Jahr 2000 gelernt hatte, sich durchzubeißen. Scheidungskind, häufige Umzüge, großes gesangliches Talent, aber in der Provinz keine Chance auf Förderung. Dann ein Jahr Hollywood, kleinere Auftritte in amerikanischen Teenie-Serien.

Letztendlich bekam sie aber ihren Fuß nicht in die Tür der Musikindustrie. Zu ländlich, zu pummelig, zu austauschbar war das Urteil. Clarkson ging zurück nach Texas. Offenbar hatte sie mit Gesang und Star-ambitionen abgeschlossen. Sie verdingte sich als Animateurin, Staubsaugervertreterin und als Aushilfe in Restaurants. Letzteres war ein Glücksfall, denn als sie sich 2002 bei "American Idol" anmeldete, kamen die Medien schnell auf den griffigen "Vom Tellerwäscher zum Millionär"-Mythos.

Kindheit Kelly Brianne Clarkson wird am 24. April 1982 in Fort Worth, Texas, geboren. Als sie sechs war, ließen ihre Eltern sich scheiden, sie blieb bei der Mutter.

Karriere Der erste Versuch, im Show-Biz Fuß zu fassen, scheitert. 2002 bewirbt sie sich auf Anraten einer Freundin bei der damals neuen Casting-Show "American Idol". Sie gewinnt den Wettbewerb mit deutlichem Abstand vor Justin Guarneri.

Album "My December" ist ein ungewohnt lautes Album. Es klingt zunächst wie ein gelacktes Pop-Produkt, überrascht nach mehrmaligem Hören allerdings durch vertrackte Rock-Arrangements und Clarksons erstaunlich wandelbare Stimme. Die Zeiten, in denen sie Schreien mit großem Gesang verwechselt hat, sind vorbei. "My December" steigt diese Woche auf Platz fünf der Charts ein.