Ein Wiedersehen nach 70 Jahren
Die ehemaligen Klassenkameraden Gertrud Oberhaus und Karl-Heinz Boddenberg trafen sich im Altenheim.
Hilden. „Weißt Du noch, die rote Kanaille?“ Karl-Heinz Boddenberg stößt seiner Nachbarin mit dem Ellenbogen sanft gegen den Arm. Gertrud Oberhaus lächelt etwas verlegen. Natürlich kann sie sich an ihre Lehrerin erinnern. „Die war sehr streng und hat auch schon mal Stockschläge auf die Finger verteilt.“ Aber „Kanaille“ würde sie ihre alte Lehrerin nie nennen. „Wie hieß sie noch? Frau Klug?“ Boddenberg stimmt zu: „Richtig, so hieß die rote Kanaille.“
Das ist eine der vielen Geschichten, die sich die Senioren zu erzählen haben. Immerhin haben sie sich 70 Jahre lang nicht gesehen. Nach dem Ende ihrer gemeinsamen Schulzeit haben sie sich aus den Augen verloren. Damals waren sie 14, heute sind sie 86. „Sie ist einen Tag älter als ich“, sagt Boddenberg.
In der Tagespflege einer Senioreneinrichtung haben sie sich wiedergetroffen. Zweimal die Woche kommen sie dorthin, um über die alten Zeiten zu reden. Über damals, als sie in der Schule an der Hildener Augustastraße in die gleiche Klasse gingen. Sie sind auch gemeinsam zur Kommunion gegangen, „bei Kaplan Berger“, sagt Oberhaus.
Erst jetzt erfuhr Gertrud Oberhaus, dass Karl-Heinz Boddenberg eine gemeinsame Mitschülerin geheiratet hat. Aber auch Hilde Boddenberg konnte sich zunächst nicht an Gertrud Oberhaus erinnern. Kein Wunder, die hieß damals noch Pampuch. „Darum wurde sie auch nicht zum Klassentreffen eingeladen“, sagt Boddenberg: „Keiner kannte ihren neuen Namen.“
„Gertrud Oberhaus? Die kenne ich nicht“, war auch Boddenbergs erste Reaktion, als ihm Ende 2011 in der Tagespflege gesagt wurde, dass es dort bald einen neuen Gast geben wird, der mit ihm zur Schule gegangen ist.
Wie klein die Welt ist, erfuhr er erst, als sich die neue Besucherin persönlich bei ihm vorstellte — mit ihrem Mädchennamen.
Ganz so klein kann die Welt dann aber doch nicht sein: Beide sind in Hilden geboren und haben ihrer Heimatstadt nie den Rücken gekehrt. Selbst den alt eingesessenen Friseursalon Boddenberg hat Gertrud Oberhaus nie mit ihrem ehemaligen Klassenkameraden in Verbindung gebracht. „Es kann schon sein, dass wir uns mal zufällig in der Stadt über den Weg gelaufen sind. Aber wir haben uns nicht erkannt“, sagt Oberhaus.
Deshalb haben sie reichlich Gesprächsstoff. Schließlich hat sich in 70 Jahren viel verändert. Nur eines ist gleich geblieben: In ihren Gesprächen foppen und necken sie sich wie die Schüler von einst.