26-Jährige nicht ansprechbar Eingesperrte Frau bei Zwangsräumung befreit

Es muss ein schrecklicher Anblick für die Polizisten gewesen sein: Vor einer Zwangsräumung stürzt sich eine Mieterin im Treppenhaus in die Tiefe. Die Beamten kommen in eine verwahrloste Wohnung. Dort finden sie die geistig behinderte Tochter der Frau - eingesperrt.

Foto: Josef Reisner

Rosenheim (dpa) - Polizisten haben in einer völlig heruntergekommenen Wohnung in Rosenheim eine verwahrloste junge Frau befreit, die dort mutmaßlich seit Jahren eingesperrt war. Dabei handelt es sich nach ersten Erkenntnissen der Polizei vom Dienstag um die geistig behinderte 26-jährige Tochter der Wohnungsmieterin. Die Rosenheimer Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer sprach von einer bitteren menschlichen Tragödie.

Die 54 Jahre alte Mieterin hatte sich am Vormittag im Treppenhaus aus dem zweiten Stock in die Tiefe gestürzt, als der Gerichtsvollzieher bei ihr klingelte. Rettungskräfte brachten sie mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus. „Die Frau ist in einem kritischen Zustand, aber nicht in Lebengefahr“, sagte Polizeisprecher Stefan Sonntag. Sie sei derzeit nicht vernehmungsfähig.

„Es ist ein recht tragischer Fall“, sagte der Polizeisprecher. Beamte hätten eine „völlig verwahrloste, heruntergekommene Wohnung“ vorgefunden. Die Tür zu einem Zimmer in der Wohnung sei abgeschlossen gewesen, Beamte mussten sie eintreten. Dahinter entdeckten sie die „ebenso völlig verwahrloste“ 26-Jährige, wie der Sprecher sagte.

Mit der jungen Frau könne man nicht sprechen. „Die Kommunikation mit ihr ist sehr, sehr schwierig“, schilderte Sonntag. Die 26-Jährige sei in eine psychiatrische Fachklinik gebracht worden. Bei den Behörden waren nach Angaben des Sprechers nur die beiden Frauen als Bewohner der Wohnung gemeldet.

Wie lange die 26-Jährige in der Wohnung festgehalten wurde und ob sie ständig in ein und demselben Raum eingesperrt war, konnten zunächst weder Staatsanwaltschaft noch Polizei einschätzen. „Möglicherweise mehrere Jahre“, sagte ein Polizeisprecher. Das müsse aber noch genauso geklärt werden wie die Frage, ob sich die 26-Jährige zwischenzeitlich frei in der Wohnung habe bewegen können.

Eine Nachbarin schilderte, dass die 54-Jährige jegliche Hilfe abgelehnt habe. Die Tochter habe manchmal nachts geschrien und gegen die Wände getreten, sagte die Frau. Sie vermutete, dass die 26-Jährige seit etwa fünf Jahren eingesperrt gewesen sei. Nach Angaben der Nachbarin lebte in der Wohnung auch der etwa 15 Jahre alte Bruder der jungen Frau.

„Es ist nur schwer vorstellbar, wie es zu solchen Entwicklungen kommen kann“, sagte Rosenheims Oberbürgermeisterin Bauer (CSU). Nun müsse es zuerst darum gehen, das menschliche Leid zu lindern, das hinter dieser Tragödie steckt. Sie wolle den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht vorgreifen.

Die Ermittler wollen unter anderem Nachbarn zu der Familie und den Lebensumständen befragen. Wann und ob Mutter und Tochter befragt werden können, stand zunächst nicht fest.