Eiseskälte lähmt Europa - Mehr als 300 Tote
Berlin (dpa) - Rekordkälte im Nordosten Deutschlands, Hunderte Tote in Osteuropa und Packeis auf Flüssen - der Eiswinter 2012 wird immer bedrohlicher. In Deutschland wurden in der Nacht zum Montag neue Tiefstwerte gemessen.
In der Stadt Usedom sanken die Temperaturen auf minus 29,1 Grad.
Damit wurden die bisherigen Kälterekorde aus dem Eiswinter 1956 leicht übertroffen. „Es war die kälteste Nacht dieses Winters, das wird wohl nicht mehr gesteigert“, sagte Meteorologe Marcus Beyer. Was für die meisten nur den Alltag mühsamer macht, ist für die Armen lebensgefährlich: Bisher kamen mehr als 300 Menschen in der Kälte ums Leben.
Teile Deutschlands und Europas gleichen einem Gefrierschrank: In Baden-Württemberg wurden in Leutkirch minus 24,6 Grad gemessen. In Berlin waren es minus 24,0 Grad. Selbst auf Mallorca wurden mit minus 5,7 Grad die niedrigsten Temperaturen seit 40 Jahren verzeichnet.
Besonders dramatisch ist die Lage in Osteuropa. In der Ukraine kostete die bittere Kälte mit Temperaturen bis minus 30 Grad mindestens 135 Menschen das Leben, wie das Zivilschutzministerium in Kiew mitteilte. In den Krankenhäusern werden 2000 Menschen mit Erfrierungserscheinungen behandelt. In Polen erfroren in der Nacht zum Montag neun Menschen, die Zahl der Kältetoten stieg seit dem 27. Januar auf 61, wie das Warschauer Innenministerium mitteilte. In Tschechien hält die Gemeinde Kvilda an der Grenze zu Bayern weiter den Kälterekord des Landes: Dort zeigte das Thermometer am Montag minus 39,4 Grad.
In Bulgarien folgten der arktischen Kälte heftige Regenfälle, die zu Überschwemmungen führten. Dabei kamen mindestens acht Menschen ums Leben, wie der staatliche Rundfunk in Sofia berichtete.
Selbst den Menschen in Südeuropa macht die ungewöhnliche Kälte zu schaffen: In Italien starben Schätzungen zufolge bislang zehn Menschen. In Rom und zahlreichen anderen Städten blieben am Montag Schulen und Behörden geschlossen. Zehntausende Menschen waren in Mittelitalien noch immer ohne Strom. Aus Frankreich wurden am Wochenende vier Tote gemeldet. Während es in Deutschland bei der Bahn kaum Probleme gab, leidet die Binnenschifffahrt. In Bayern war der Main-Donau-Kanal auf einer Länge von 115 Kilometern gesperrt, wie das Wasser- und Schifffahrtsamt Nürnberg mitteilte. 32 Schiffe konnten nicht weiterfahren. Auch den Schiffen auf dem deutschen Oberlauf der Elbe droht die Zwangspause wegen Treibeises. „In maximal 48 Stunden wird der Fluss zwischen Saale und Dresden gesperrt, wenn das Wetter so bleibt“, sagte Wolfgang Schwehla vom Wasser- und Schifffahrtsamt Dresden.
Frost-Frust schoben viele Autofahrer: Bei der klirrenden Kälte fielen deutlich mehr Batterien aus als sonst. „Die Nachfrage ist um etwa 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen“, sagte Dietmar Clysters, Sprecher des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg. Er rät Autofahrern, bei Kurzstrecken nicht gleich Klimaanlage, Scheibenheizung und Sitzheizung einzuschalten.
Wintersportler kamen dagegen auf ihre Kosten. Auf den Skipisten der Zugspitze herrschte reger Betrieb, wie eine Sprecherin der Zugspitzbahn sagte. „Wir haben beste Bedingungen bei Sonnenschein, blauem Himmel und einer bis zu 150 Kilometer weiten Fernsicht.“ Die Skifahrer wüssten, dass sie bei Temperaturen um minus 20 Grad auf die richtige Kleidung achten müssten.
Die Aussichten für die kommenden Tage sind weiter eisig: Zwar lässt die Kälte ein bisschen nach, wenn Wolken von Mittelmeer-Tief „Julia“ Deutschland streifen. Ab Dienstag kann es ein wenig schneien, aber viel wird nach Einschätzung der Meteorologen nicht zusammenkommen. Nachts herrscht weiter strenger Frost, stellenweise auch wieder minus 20 Grad und darunter.
In der Schweiz wurde ein Kälterekord in bewohnten Gebieten für diesen Winter gemessen: In der Gemeinde Samedan nahe St. Moritz im Südosten des Landes fiel die Temperatur in der Nacht zum Montag auf minus 35,1 Grad.
Die tschechische Feuerwehr warnte eindringlich davor, Metallgegenstände zu berühren. Drei tschechische Jugendliche froren seit dem Kälteeinbruch vor einer Woche mit ihrer Zunge an Laternenpfosten fest, weil sie am Eis lecken wollten. Zuletzt mussten die Beamten in der Gemeinde Chodov einen 14-Jährigen mit warmen Tüchern aus seiner Notlage befreien.