Entführten Frauen gelingt nach zehn Jahren die Flucht

Washington (dpa) - Ein Jahrzehnt nach ihrem spurlosen Verschwinden sind drei vermisste Frauen in den USA ihrem mutmaßlichen Entführer entkommen. Die Polizei befreite die Opfer und ein sechsjähriges Mädchen aus einem Haus in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio.

Der 52 Jahre alte Hauptverdächtige Ariel Castro und seine beiden Brüder wurden festgenommen, teilten die Ermittler am Dienstag mit. Angaben über die Umstände der Gefangenschaft oder das Motiv der Peiniger machten sie nicht. „Das ist ein schrecklicher, schrecklicher Fall“, sagte der verantwortliche FBI-Agent Steven Anthony.

Die spektakuläre Befreiung nahm ihren Lauf, als ein Nachbar am Montag verzweifelte Hilferufe aus dem Haus hörte und die Tür eintrat. Dabei begegnete er Amanda Berry, die 2003 im Alter von 16 Jahren auf dem Heimweg von ihrem Job in einem Restaurant verschwunden war. Mit Hilfe des Nachbarn gelang es ihr, die Polizei zu alarmieren, während ihr mutmaßlicher Kidnapper außer Haus war. „Ich wurde entführt und werde seit zehn Jahren vermisst. Ich bin hier und nun frei“, sagte sie mit aufgeregter Stimme in dem Notruf.

Die Polizei befreite zwei weitere Frauen, Gina DeJesus und Michelle Knight. Die damals 14-jährige DeJesus verschwand am 2. April 2004 auf dem Heimweg von der Schule. Die heute 32 Jahre alte Michelle Knight wurde seit 2002 vermisst. Das sechsjährige Mädchen ist nach Angaben der Ermittler wahrscheinlich Berrys Tochter. Wer der Vater ist, sagten sie nicht. Es werde noch Wochen dauern, bis alle Details des Falls aufgearbeitet sind, sagte Clevelands Polizeichef Michael McGrath. „Es gibt logistische Informationen aus zehn Jahren, die durchgeforstet werden muss.“

Die Opfer wurden nach einer Behandlung in einem Krankenhaus entlassen. Ihr Gesundheitszustand sei den Umständen entsprechend gut, hieß es. „Normalerweise gehen solche Geschichten anders aus, daher sind wir sehr froh für sie“, sagte Dr. Gerald Maloney, ein Arzt in der Notaufnahme des Metro Health Medical Centers. Clevelands Bürgermeister Frank Jackson forderte die Öffentlichkeit auf, den Frauen „Raum zu geben“, um die „traumatischen Erlebnisse“ zu verarbeiten.

Das FBI durchsuchte das Haus in der Seymour Avenue, in dem die Frauen festgehalten wurden. Es liegt in einer von vielen Latinos bewohnten Gegend, weniger als einen Kilometer von den Wohnungen der Familien von Berry und DeJesus entfernt. Es habe keine Hinweise von „Nachbarn, Passanten, Zeugen oder irgendjemanden sonst“ über verdächtige Machenschaften gegeben, sagte Clevelands Direktor für öffentliche Sicherheit, Martin Flask. Jedoch habe die Polizei vor neun Jahren kurz gegen Castro ermittelt, weil der damalige Schulbusfahrer ein Kind im Bus sitzen ließ. Das wurde jedoch als Versehen eingestuft.

Hunderte Schaulustige versammelten sich in Cleveland in der Nacht auf Dienstag in der Nähe des Tatorts und vor dem Krankenhaus. Die Fassungslosigkeit über den Fall, aber auch die Erleichterung über den unerwarteten guten Ausgang dieser Vermisstenfälle war groß. Lokale Medien hatten auch nach Jahren immer wieder über die Vermissten Berry und DeJesus berichtet. Über Knight hingegen gab es kaum Infos.

„Ich bin überwältigt. Es ist ein Segen“, sagte die Aktivistin Judy Martin dem Sender ABC News Channel 5. Sie hatte sich jahrelang an Aufrufen und Suchaktionen beteiligt. McGrath sagte, das FBI habe die Suche niemals aufgegeben. Es wurden immer wieder Zeugen befragt, jeder Hinweis wurde verfolgt. Zwei Mal wurden auf der Suche nach den Leichen der Frauen sogar Vorgärten ausgehoben.