„Es tut jedes Jahr ein bisschen weniger weh“
Viele Überlebende leiden noch heute darunter, sagt die Therapeutin Sybille Jatzko. Nicht immer fänden sie Verständnis.
Ramstein. An den psychischen Spätfolgen leiden Überlebende der Katastrophe von Ramstein noch heute, sagt die Therapeutin Sybille Jatzko (Foto: dpa), die seit langem Betroffene betreut.
Frau Jatzko, wie geht es den Überlebenden heute?
Sybille Jatzko: Es gibt Zeiten, in denen schwer traumatisierte Überlebende wenig belastbar sind, stumm vor sich hingucken, sehr geräuschempfindlich sind, Alpträume haben und nur mit Licht schlafen können. Dann gibt sich das wieder und sie können wieder am Leben teilnehmen — bis zum nächsten Einbruch.
Leiden sie unter dem 25. Jahrestag?
Jatzko: Der Jahrestag rührt bei den Traumatisierten vieles wieder auf. Sie haben Herzklopfen, Schweißausbrüche und schon Tage vorher Angst vor dem Jahrestag. Doch sie machen auch die Erfahrung, dass es jedes Jahr ein bisschen weniger wehtut. Das schärft die eigene Wahrnehmung, das beruhigt. Selbst die Schwersttraumatisierten merken inzwischen, dass die Symptomatik abgenommen hat.
Manche sagen, jetzt lasst es gut sein. Was sagen Sie denen?
Jatzko: Die Umwelt reagiert manchmal rücksichtslos. Einige sagen, es ist doch schon so viele Jahre her. Andere meinen: Warum tust du dir das noch an und gehst zur Trauerfeier? Das sind gut gemeinte Ratschläge, die die Betroffenen jedoch als Schläge empfinden, weil sie sich nicht verstanden fühlen. Dass die Überlebenden die schrecklichen Ereignisse nach 25 Jahren vergessen haben, glauben nur Menschen, die kein Trauma kennen. Im üblichen Erfahrungsschatz eines Menschen ist ein Trauma ja nicht vorhanden.
Wenn heute so eine Flugschau wäre, würden bestimmt wieder Tausende hinströmen . . .
Jatzko: Es liegt in der Natur der Menschen, die Erinnerung an eine Katastrophe nicht permanent aufrecht zu erhalten. Doch Geschehnisse wie Ramstein sind nicht vergessen.