Zu Besuch beim ältesten Baum

Die Femeiche der Stadt Erle im Kreis Borken ist mehr als 1000 Jahre alt. Ihr genaues Alter ist nicht bekannt, da sie innen hohl ist.

Erle. Es macht ein bisschen still, einem mehr als tausend Jahre alten Lebewesen gegenüberzustehen. Viele Burgen sind auch tausend Jahre alt, aber sie sind aus totem Stein. Die Femeiche von der Stadt Erle im Kreis Borken dagegen ist ein Organismus.

Das sieht man nicht nur an der grünen Blätterkrone, sondern auch daran, dass der Baum die Ansätze der Eisenstangen, die ihm in den 60er Jahren zur Stabilisierung eingesetzt worden sind, mittlerweile umfasst hat. Er hat sie mit Holz eingeschlossen.

Der Baum wurzelt im ersten Jahrtausend und reckt sich ins dritte. Nach Erkenntnissen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW ist er der älteste Baum in NRW und wahrscheinlich sogar der älteste Laubbaum in ganz Deutschland.

Wie alt er genau ist, weiß man nicht, weil sein Inneres schon vor langer Zeit weggefault ist. Darum besitzt er keine Jahresringe, an denen man sein Alter ablesen könnte. Vor 200 Jahren war er schon so hohl, dass der König von Preußen 36 Infanteristen hineinstellen konnte. 1851 speiste der Bischof von Münster mit elf anderen Geistlichen an einem runden Tisch im Inneren des Baumes.

Heute sind nur noch drei beängstigend schmale Teilstücke des Stammes übrig geblieben. Sie können die Krone nur tragen, weil sie mit Balken abgestützt werden. Dass durch so wenig Holz überhaupt genug Nährstoffe in die knorrig verwachsenen Äste gelangen, grenzt an ein Wunder. So wirkt der Baum würdig und kauzig zugleich.

In einem vegetativen Sinne weiß er durchaus, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Er spürt die Wunde und versucht, sie zu schließen. Das hat dazu geführt, dass nun auch an der einstigen Innenseite des Stammes Rinde wächst. Die Wunde ist aber viel zu groß, als dass sich der Baum je davon erholen könnte. Er ist beinahe rumpfamputiert. Ohne menschliche Hilfe hätte ihn längst ein Herbststurm gefällt.

Den Namen „Femeiche“ hat der Baum daher, dass in seinem Schatten früher Femegerichte (siehe Kasten) abgehalten wurden. Schon die Germanen hielten unter alten Bäumen Gericht, weil sie ihnen Weissagungs- und Heilkräfte zuschrieben.

„Früher haben die Mütter erzählt, dass die Kinder aus der Femeiche kommen“, erzählt der Heimatforscher Klaus Werner. Er macht sich Sorgen, weil vor dem Baum Häuser gebaut werden sollen.

Das könnte den Grundwasserstand verändern, befürchtet auch Norbert Stuff, der im Kreis Borken die alten Bäume betreut. Jedes Jahr stattet er der Femeiche zwei offizielle Besuche ab, einmal im Sommer, wenn sie Laub trägt, und einmal im Winter. Auch wenn der Holzkörper dauerhaft weggefault ist: Im Moment macht die Eiche auf ihn einen recht vitalen Eindruck.

Die Femeiche zeigt, unter welchen Umständen ein Baum früher alt werden konnte: Er musste eine kulturelle Funktion haben, so wie in diesem Fall als Gerichtsstätte. Die ältesten deutschen Bäume sind fast alle Predigtulmen, Tanzlinden oder Schlosseichen. Im Wald stehen dagegen kaum alte Bäume. Wälder werden meist forstwirtschaftlich genutzt.