Experten: Säuglinge mit höchstem Schweinegrippe-Risiko
Köln/Hamburg (dpa). Neugeborene und Babys sind durch die grassierende Schweinegrippe nach Experteneinschätzung besonders gefährdet. "Die Säuglinge tragen definitiv das allerhöchste Risiko", sagte Prof. Reinhard Berner, Oberarzt im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin an der Freiburger Universitätsklinik, am Montag in Köln.
Für Säuglinge unter sieben Monaten ist der Grippe-Impfstoff nicht zugelassen, betonte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Köln.
Erkrankt ein Säugling, müssten die Ärzte mit Tamiflu behandeln, obwohl das Medikament für Babys ebenfalls nicht zugelassen sei und es keine Dosierungsempfehlungen gebe. "Alle Kontaktpersonen wie zum Beispiel auch die Hebamme sollten geimpft sein, das scheint im Bewusstsein aber noch gar nicht so angekommen zu sein", riet BVKJ- Präsident Wolfram Hartmann. Eltern und Geschwister von kleinen Babys sollten vorbeugend Mundschutz tragen.
Wie viele Babys schon erkrankt sind, ist unklar. "Es kommt schon häufig vor", sagte Berner. "Die Statistik ist schlecht, wir wissen deshalb auch nicht, wie viele Säuglinge erkrankt sind", ergänzte Kinderarzt Hartmann. Die Schweinegrippe breite sich aus, die offizielle Zahl - das Robert Koch-Institut spricht von bundesweit 40 000 gemeldeten Fällen - sei generell viel zu niedrig und kaum aussagekräftig, bemängelte der BVKJ-Präsident.
Allein das stark betroffene Bayern registrierte bislang 25 000 Infektionen mit dem neuen H1N1-Virus. Zwei bayerische Infizierte starben. Auch aus Köln wurde ein weiterer Todesfall bekannt. Niedersachsen meldete am Abend die erste Tote im Zusammenhang mit der Schweinegrippe. Das Gesundheitsministerium in Hannover bestätigte. dass eine 52 Jahre alte Frau aus dem Raum Osnabrück an den Folgen einer Infektion mit dem neuen H1N1-Virus gestorben sei. Sie habe unter Vorerkrankungen gelitten und sei vor einer Woche in eine Klinik gebracht worden.
In Thüringen wurde am Montag ein 66-Jähriger tot in seiner Wohnung gefunden, der am vergangenen Freitag gegen die Schweinegrippe geimpft worden war. Der Mann habe an einer chronischen Atemwegserkrankung gelitten, teilte das thüringische Gesundheitsministerium mit. Die genaue Todesursache werde untersucht. Beim Tod eines 55-Jährigen aus dem Eichsfeld wurde die Impfung als Todesursache unterdessen ausgeschlossen. Der Mann sei an einem Herzinfarkt gestorben, der vermutlich schon vor der Impfung begonnen habe, zitierte Amtsärztin Judith Rahrig aus den Ergebnissen der Untersuchung.
Der Deutsche Philologenverband forderte nach dem bundesweiten Beginn der Impfaktionen eine klare Linie für Schulen. Der permanente "Zickzack-Kurs" von Schulbehörden und Gesundheitsämtern sorge für eine tiefe Verunsicherung, kritisierte der Vorsitzende Heinz-Peter Meidinger in Berlin. Schulen seien sehr stark von der Infektionsgefahr betroffen, ergänzte er. "Politik und Behörden müssen sich endlich entscheiden, auf welche Weise sie ihre Verantwortung für die Gesundheit der Kinder wahrnehmen wollen."
An den heiligen Stätten des Islam in Saudi-Arabien wird in diesem Jahr wegen der Schweinegrippe weniger Gedränge herrschen als sonst. Viele Muslime haben ihre geplante Wallfahrt nach Mekka und Medina ("Hadsch") aus Angst vor dem Virus auf das nächste Jahr verschoben. Die saudische Zeitung "Arab News" meldete am Montag, die "Hadsch"- Reiseveranstalter in Saudi-Arabien hätten 40 Prozent weniger Kunden aus dem Inland als 2008.
Das Gesundheitsministerium in Riad hatte zuvor erklärt, für Pilger aus Saudi-Arabien sei die Impfung gegen das Virus Pflicht. Den Pilgern, die aus dem Ausland zum "Hadsch" kommen, raten die Gesundheitsbehörden des islamischen Königreiches ebenfalls zur Impfung.
Die tunesische Regierung verbot den Reiseveranstaltern des Landes wegen der Schweinegrippe, Pilger nach Saudi-Arabien zu bringen. Auch in Tunesien gab es erste Todesfälle nach einer H1N1-Infektion. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Tunis handelt es sich um zwei Männer mittleren Alters mit Risikofaktoren. Der eine habe unter Hepatitis gelitten, der andere unter schweren Herzproblemen. Aus dem palästinensischen Westjordanland wurden ebenfalls die ersten fünf Todesfälle gemeldet.
In der schwer betroffenen Ukraine stiegen die Grippe-Todeszahlen weiter an. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Kiew sind inzwischen etwa 300 Menschen an der Infektion gestorben. Unklar war, wie viele von ihnen an der Schweinegrippe starben. Die Zahl der Infizierten wurde mit 1,4 Millionen angegeben.