Fast wie Frankie-Boy: „Storytone“ von Neil Young

Berlin (dpa) - Man kann Neil Young so einiges vorwerfen, unter anderem politische Irrtümer und auch manche schwache Platte. Aber eines sicher nicht: dass er langweilt oder es sich auf den Lorbeeren des Woodstock-Veteranen und Rock-Erneuerers bequem macht.

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Jüngstes Beispiel: „Storytone“, bereits das zweite Album des legendären Sängers und Gitarristen in diesem Jahr, ist wieder mal ganz anders als der Vorgänger. Und zum Glück auch viel besser.

Denn während das Ende Mai erschienene „A Letter Home“ in einer winzigen Aufnahmezelle aus den 40er Jahren aufgenommen wurde und genau so klang (nämlich bewusst primitiv, mit heftig verrauschten und knisternden Cover-Folksongs zu Gitarre und Piano), ist „Storytone“ auch für Young-Verhältnisse großes Kino. Abwechselnd für ein riesiges Orchester oder im bläsersatten Bigband-Stil arrangiert, geben sich die zehn neuen Lieder des 68-jährigen Kanadiers hemmungslos der Sentimentalität und der Nostalgie hin.

Je nach Zählweise ist „Storytone“ Youngs 35. bis 40. Album seit dem Solo-Debüt von 1969. Und es dürfte mit seinem opulenten Sound-Design eines der ungewöhnlichsten und auch lieblichsten dieser kurvenreichen Karriere sein. Denn zuletzt hatte es der Eigenbrötler mit seiner Begleitband Crazy Horse in endlosen Gitarrenrock-Jams so richtig krachen lassen (auf dem Doppelalbum „Psychedelic Pill“ von 2012). Oder aber er hatte mit seinem neuen Kumpel Jack White für „A Letter Home“ eine rustikalst-mögliche Aufnahmemethode gewählt, die auch die Toleranz altgedienter Young-Fans auf eine Probe stellte.

Nun singt der Mann mit der - diesmal überraschend festen - Fistelstimme also gefühlvolle, gelegentlich kitschnahe Balladen zu üppiger Streicher-Begleitung. Young regt sich darin über die US-Umweltpolitik auf (etwa im dramatischen Anti-Fracking-Song „Who's Gonna Stand Up?“ mit der Antwort: „This all starts with You and me“). Oder er sinniert über das Kommen und Gehen von Liebe und Illusionen („All Those Dreams“). Der Hintergrund dafür mag die noch frische Trennung von seiner Ehefrau Pegi nach 35 Jahren sein.

Die Zusammenarbeit mit einem 90-köpfigen Orchester ist nicht neu für Neil Young - schon für sein Durchbruch-Album „Harvest“ (1972) mit dem Welthit „Heart Of Gold“ mietete er sich das London Symphony Orchestra. „Storytone“ nahm er nun großenteils in den Sony-Studios von Los Angeles auf, mit Orchester- und Chor-Arrangements des Deutschen Chris Walden. „Das war eine tolle Erfahrung“, erzählte Young kürzlich in einem Interview. „Ich war in einem Raum mit all diesen Musikern. Wir spielten alles auf einmal ein - ohne nachträgliche Retuschen. Entweder sofort Spitze - oder weg damit.“ Wie damals bei „Frankie-Boy“ Sinatra habe sich das angefühlt.

Eine spontane, puristische Herangehensweise hat sich Young also auch für dieses Album bewahrt, denn es klingt trotz all seiner sinfonischen Klangfülle nicht überproduziert. Sehr direkt und urwüchsig wirken zwischendurch die drei Bigband-Stücke auf der Basis von Südstaaten-Soul und Blues (besonders mitreißend: „Say Hello To Chicago“).

Dass er in „I Want To Drive My Car“ über ungebrochene Autobegeisterung singt, steht übrigens nicht unbedingt im Widerspruch zum jahrelangen Öko-Engagement - seine Lieblings-Straßenkreuzer wurden nachträglich mit umweltschonenden Biosprit-Hybridmotoren ausgerüstet. Auch darin bleibt Neil Young ein liebenswert-kauziger Individualist.

Das Album „Storytone“ von Neil Young erscheint über Reprise/Warner in mehreren Versionen: CD, Deluxe-Doppel-CD (zusätzlich mit allen zehn Songs in Solo-Fassungen) und als Doppel-Vinyl.