Ferdinand von Schirach: Mal Mord — mal Totschlag
Mit Ganoven und Verbrechen kennt sich der Berliner Jurist und Anwalt Ferdinand von Schirach bestens aus. Jetzt wurden seine Geschichten verfilmt.
Berlin. Mit seinem Buch „Verbrechen“ sorgte der Berliner Staranwalt Ferdinand von Schirach vor vier Jahren für Aufsehen. Die auf wahren Fällen aus seiner Anwaltskanzlei basierenden Storys über kuriose Morde und andere spektakuläre Straftaten wurden zum Bestseller.
Jetzt sind einige der Geschichten des Berliner Strafverteidigers verfilmt worden: In der sechsteiligen Serie „Verbrechen“ (ab Sonntag, 22 Uhr, ZDF) spielt Josef Bierbichler den Anwalt Friedrich Leonhardt, der mit ungewöhnlichen Kriminalfällen und Mandanten zu tun hat.
Herr von Schirach, was fasziniert die Menschen an Verbrechen?
Ferdinand von Schirach: Zum einen wird der Gangster zu unserem Stellvertreter, er darf die Dinge tun, die wir nicht tun dürfen. Wenn wir in ein Restaurant gehen und der Kellner uns blöd behandelt, reißen wir uns trotzdem zusammen. Und am Ende geben wir ihm sogar noch Trinkgeld. Tony Soprano aus der Mafiaserie „Die Sopranos“ würde ihn ohrfeigen, Al Pacino in „Scarface“ würde ihn erschießen.
Für den Gangster gibt es keine Regel, er ist frei. Aber wir führen ein bürgerliches Leben, wir müssen 150 Ge- und Verbote befolgen, bevor wir am Morgen im Büro angekommen sind: Im Auto anschnallen, nicht während der Fahrt telefonieren und so weiter. Unsere Welt ist überreguliert, sie ist mühsam, unsere Freiheit wird immer kleiner. Und der zweite Grund: Wir erkennen die Verbrecher als Menschen, die uns ähnlich sind.
Welches sind nach Ihrer Erfahrung als Strafverteidiger die Hauptmotive für einen Mord?
von Schirach: Ein Polizist in einer meiner Kurzgeschichten sagt: „Folgen Sie dem Geld oder dem Sperma, die meisten Verbrechen klären sich so auf“. In der Regel stimmt das: Es geht um Gier und um Eifersucht.
Die Verfilmungen halten sich eng an die literarische Vorlage. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
von Schirach: Ich bin sehr zufrieden. Wenn ich der Regisseur gewesen wäre, hätte ich es vielleicht anders gemacht: keine Musik, nur schwarz-weiße Bilder, kaum Dialoge, kaum Schnitte, wenig Bewegung, keine Effekte, alles langsam und dunkel. Es wäre vermutlich ein Episodenfilm geworden. Natürlich wäre es schiefgegangen, dass ihn nur ein paar Leute nachts auf Arte geschaut hätten.
Der Produzent Oliver Berben hatte eine andere Vision. Er wollte, dass „Verbrechen“ nicht wie ein „Tatort“ aussieht. Ich glaube, das ist ihm gelungen. Für das Fernsehen ist „Verbrechen“ etwas Ungewöhnliches. Dieser Mut verdient Lob, zumal die Filme die Grundgedanken der Geschichten adäquat vermitteln.
Die Geschichten basieren auf echten Fällen aus Ihrer Kanzlei. Hat sich das alles so zugetragen?
von Schirach: Was ist Wahrheit? Es gibt eine Wirklichkeit, also das, was tatsächlich geschieht. Aber wir nehmen die Dinge nicht so wahr, wie sie tatsächlich sind. Wir können immer nur einen Teil sehen, und jeder von uns sieht etwas anderes. Bei meinen Geschichten ist es genauso: Hätte ein Staatsanwalt sie geschrieben, wären es andere Geschichten.
Dazu kommt, dass ich als Strafverteidiger unter Schweigepflicht stehe: Ich darf die Geschichten also nie so erzählen, wie sie tatsächlich passiert sind. Ich setze eine Kurzgeschichte deshalb aus vielen Fällen zusammen. Sie sind trotzdem wahr, schon weil Literatur immer wahrer als die Wirklichkeit ist.
Wie bekommen Sie die schriftstellerische Arbeit mit Ihrem Job als Anwalt unter einen Hut?
von Schirach: Die Bücher „Verbrechen“ und „Schuld“ habe ich nachts geschrieben und bin tagsüber ins Büro gegangen. Beim „Fall Collini“ war es schon mühsamer, ich musste Archive und verschiedene Orte aufsuchen. Die letzten 18 Monate war ich kaum in der Kanzlei. Ich habe einen neuen Roman geschrieben, der im Herbst erscheint. Ich werde aber den Anwaltsberuf nicht aufgeben.
Wenn Sie sich zwischen Anwalt und Schriftsteller entscheiden müssten: Wie würden Sie wählen?
von Schirach: Ich bin glücklich, dass ich es nicht entscheiden muss. Als Schriftsteller haben Sie die Verantwortung für die Figuren, die Sie erschaffen. Als Anwalt haben Sie die Verantwortung für wirkliche Menschen. Aber als Schriftsteller braucht man Einsamkeit, Zeit, die man ungestört mit einer Geschichte alleine ist.
Die Strategie für ein Strafverfahren entsteht aus Akten, aus Gesprächen mit Richtern, Kollegen und Mandanten. In einer Hauptverhandlung kommt es darauf an, eine Situation schnell zu erfassen, für einen Zeugen die richtigen Fragen zu finden. Es ist ein sozialer Vorgang. Das Schreiben ist es nicht. Es ist das Gegenteil.