Foodstylist Tino Kalning: Eine Frage der Technik

Tino Kalning ist Foodstylist. Er setzt Speisen so in Szene, dass uns beim Anblick das Wasser im Mund zusammenläuft.

Foto: Przybilla

Düsseldorf. Noch ein paar Luftstöße mit dem Baumarkt-Föhn, dann ist der Schafskäse geröstet. „In echt wäre der Brokkoli schon braun, bevor der Käse überhaupt geschmolzen ist“, sagt Tino Kalning. Die Rede ist von einem Gemüseauflauf, den Kalning für einen Lebensmittelkonzern in Szene setzt. Essen sollte man das Werk besser nicht, denn die Zutaten sind nicht durchgegart. „Wenn man sie kocht, verlieren sie viel zu schnell ihre Farbe.“

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Ob Grillsteaks, Tütensuppen oder komplette Menüs: Der Foodstylist aus Frankfurt weiß genau, mit welchen Kniffen man Lebensmittel möglichst appetitlich aussehen lässt. Beim nächsten Gericht, Putentopf mit Frischkäse, kocht er erst einmal Grießbrei. Damit füllt er einen Großteil der Auflaufform — sieht ja keiner. In den Nudeltopf kommt eine Prise Lebensmittelfarbe, in die Pfanne ordentlich Öl: „Das Fleisch muss schön kross aussehen“, sagt Kalning (38). Dass die Pute für den Verzehr längst zu trocken wäre, stört nicht. Hauptsache, die Optik stimmt.

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Zu Kalnings Handwerkszeug gehören Pinzetten, Pinsel, Steck- und Akupunkturnadeln. Nur so lassen sich wackelige Gerichte wie zum Beispiel Hamburger in Form halten. Kugelausstecher sind ebenfalls ein Muss: „Die Löcher im Käse sind nie da, wo sie sein sollten.“ Wie viel getrickst wird, lässt sich nur ahnen. Einen guten Eindruck vermittelt der Berliner Künstler Samuel Müller in seinem Buch „Werbung gegen Realität“.

Foodstylisten arbeiten aber nicht nur für die Lebensmittelindustrie. Mal setzen sie Gerichte für Kochbücher ins Bild, ein anderes Mal für Zeitschriften oder Fernsehsendungen. „Kochen sollte man natürlich können“, nennt Kalning eine der Grundvoraussetzungen. Wie viele Kollegen in Deutschland seinem Job nachgehen, weiß er nicht, da es hierzulande weder einen Berufsverband noch eine geregelte Ausbildung gibt.

Häufig lernen Foodstylisten ihr Handwerk in der Gastronomie und wenden sich später der Fotografie zu — oder umgekehrt. „Ich wusste lange Zeit nicht, dass es diesen Beruf überhaupt gibt“, sagt Kalning, der nach seiner Ausbildung zum Koch zunächst in einem Drei-Sterne-Restaurant arbeitete. Vor 13 Jahren machte er sich dann selbstständig, nachdem er ein Praktikum bei einem Frankfurter Foodstylisten absolviert hatte.

Aufträge zu bekommen, sei am Anfang extrem schwer gewesen. „Ohne Kontakte läuft da nichts“, sagt Kalning. Inzwischen verdient er nach eigenen Angaben zwischen 350 und 1000 Euro am Tag — je nach Auftraggeber. „Es gibt aber auch längere Phasen, in denen ich keine Aufträge habe.“ Trotz der Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung sieht er für sich eine gute Perspektive: „Irgend jemand muss das Essen ja kochen.“

Wichtig sei die sorgfältige Vorbereitung. „Am Anfang meiner Karriere sollte ich mal einen Joghurtlöffel mit Schwung ablichten, dafür habe ich zwölf Stunden gebraucht.“

Heute kocht er schwierige Aufträge zu Hause vor — „alles eine Frage der Technik“. Drei Stunden später drückt Frank Weinert zum ersten Mal auf den Auslöser: „Sieht doch gut aus“, findet der Werbefotograf, der regelmäßig mit Kalning zusammenarbeitet.

Doch gut ist noch lange nicht perfekt. Das Holzbrett wirkt zu klinisch, die Soße ist kaum zu sehen, die Kontraste sind nicht stark genug. Also greift Kalning noch einmal zur Pinzette, wendet, arrangiert, sprüht Wasser aufs Brett. „Konstruierte Zufälligkeit“ nennt er das, was die Großbildkamera nach mühevoller Kleinstarbeit einfängt.

Das Glycerin-Fläschchen ist an diesem Tag nicht zum Einsatz gekommen. Foodstylisten benutzen die Chemikalie, um Wassertropfen zu stabilisieren. „Die werden dann schön rund und laufen nicht weg“, erklärt Kalning. Hat er bei so viel Trickserei kein schlechtes Gewissen? Der Präparator schüttelt energisch den Kopf. „Auf Chemie greifen wir nur in den seltensten Fällen zurück.“ Manche Speisen sähen eben nicht so appetitlich aus: „Da müssen wir etwas nachhelfen.“

Selbst Verbraucherschützer finden das nicht zwangsläufig verwerflich. „Kritisch wird es, sobald die Abbildungen mit der Realität nichts mehr zu tun haben“, sagt Foodwatch-Sprecher Andreas Winkler. Solche Hinweise landen mitunter beim Internetportal Lebensmittelklarheit.de, das die Verbraucherzentralen betreiben — etwa, wenn eine Waffel mit dickem Schokoüberzug dargestellt wird, obwohl sie nur ein Prozent Schokolade enthält. Anprangern können das die Experten aber nur in seltenen Fällen: Über genaue Zutatenmengen schweigen sich die Hersteller gerne aus.