NRW Frau auf Friedhof vergewaltigt - Innenminister Reul kritisiert Bochumer Polizei
In Bochum hat ein verurteilter Sexualstraftäter eine 33-Jährige attackiert. Der Mann stand unter Beobachtung. Die Polizei hielt die Meldung zunächst unter Verschluss.
Bochum. Die Nachricht einer besonders perfiden Sexualstraftat hatte am Mittwoch für Empörung gesorgt: Nach einer Berichterstattung der „Rheinischen Post“ ist am Morgen des 18. Februar eine 33-jährige Frau auf einem Friedhof in Bochum brutal überfallen und vergewaltigt worden. Wie die Polizei in Bochum inzwischen bestätigte, hatte nach ersten Erkenntnissen der mutmaßliche Täter, ein 30-jähriger verurteilter Sexualstraftäter, die Frau zunächst geschlagen, ihr von hinten eine Kapuze über den Kopf gezogen, sie gewürgt und schließlich mehrfach vergewaltigt. Ein brisantes Detail: Der Mann war als Proband erfasst in einem beim Landeskriminalamt (LKA) NRW verorteten Programm namens „Kurs“ (kurz für: Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern). Nach einer verbüßten Haftstrafe stand er wegen Vergewaltigung unter Beobachtung der Polizei Bochum.
Frank Scheulen, Sprecher des LKA NRW, über die Rückfallgefahr bei verurteilten Sexualstraftätern.
Diese hatte ihrerseits darauf verzichtet, den Fall publik zu machen, bestritt auf Anfrage dieser Zeitung aber ausdrücklich, dass der Verzicht auf die Veröffentlichung in Zusammenhang mit der „Kurs“-Teilnahme des mutmaßlichen Täters stehe. Der 30-jährige Mann befindet sich aktuell in Untersuchungshaft und hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. „Es ging uns nicht darum, irgendetwas unter den Teppich zu kehren“, beteuert Marcus Bischoff, ein Sprecher der Polizei Bochum. „Opfer von Sexualstraftaten erleiden durch eine solche Tat ohnehin häufig ein schweres Trauma und werden durch die Berichterstattung in der Presse immer wieder mit der Tat konfrontiert“, sagt Bischoff. „Das wollten wir in diesem Fall unbedingt vermeiden.“
Nun steht hinter jeder Straftat ein Opfer, das mit den psychischen Folgen des Erlebten irgendwie fertig werden muss. Die Frage, ob ein Fall an die Presse weitergegeben wird oder nicht, liegt letztlich im Ermessen der zuständigen Polizeibehörde — dabei spielen etwa ermittlungstaktische Erwägungen oder Fragen des Opferschutzes eine Rolle. Dass die Polizei Bochum sich im vorliegenden Fall gegen eine Veröffentlichung entschieden hat, bedauert sie inzwischen ausdrücklich vor dem Hintergrund, dass der Täter im Rahmen des Kurs-Programms von der Behörde betreut wurde. „Aus heutiger Sicht war dies ein Fehler. Wir wissen, dass Sexualstraftaten die Bevölkerung zutiefst verunsichern“, heißt es in einer Stellungnahme vom Mittwoch.
Dabei gab es nach Darstellung der Polizei keine Anhaltspunkte für eine erhöhte Rückfallgefahr — im Gegenteil: Der 30-jährige Bochumer hatte eine gute Sozialprognose erhalten, ging einem geregelten Job nach und lebte mit einer Frau in einer festen Beziehung — sogar von Heiratsplänen war die Rede. Regelmäßige Überprüfungen der Polizei hätten ergeben, dass der Proband auch seine Therapieangebote zuverlässig wahrnahm.
Reaktionen zu dem Fall gab es am Mittwoch aus der Politik: „Die Berichterstattung über die abscheuliche Vergewaltigung in Bochum wirft Fragen auf. Warum wurde die Tat nicht durch die Polizei veröffentlicht? Und steht die Nicht-Veröffentlichung im Zusammenhang mit der Teilnahme des mutmaßlichen Täters an dem ,Kurs’-Programm?“, fragt Verena Schäffer, innenpolitische Sprecherin der NRW-Grünen in einer Pressemitteilung. „Der Innenminister muss nun schnellstmöglich für Transparenz sorgen, bevor sich der Eindruck verfestigt, hier solle etwas vertuscht werden. Diese Fragen wird der Innenminister spätestens im nächsten Innenausschuss beantworten müssen.“
Mit vorauseilender Schelte nahm NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) den Kritikern gleich etwas Wind aus den Segeln: „Die Pressearbeit in dem Bochumer Fall entspricht nicht meinem Verständnis von Transparenz. Ich erwarte von allen Polizeibehörden im Land, dass in Zukunft in vergleichbaren Fällen transparent und offensiv kommuniziert wird.“
Der Fall dürfte dazu beitragen, dass die alte Debatte, wie mit einem verurteilten Sexualstraftäter nach dessen Verbüßung einer Haftstrafe umgegangen werden soll. Denn unabhängig von der Art des Delikts hat jeder das Recht und die Chance auf einen Neuanfang, wenn er die Mühlen der Justiz verlassen hat.
Nach Einschätzung des LKA leistet das Programm „Kurs“, das 2010 ins Leben gerufen wurde, hier grundsätzlich wertvolle Dienste: „Man muss sich mal vorstellen, dass in der Zeit vor ,Kurs’ die Behörden gezwungen waren, einen früheren Sexualstraftäter vollkommen sich selbst zu überlassen. Man wusste nicht, welche Pläne er hat, wo er seinen Wohnsitz nehmen wird und ob er seine Therapieangebote wahrnimmt“, erläutert LKA-Sprecher Frank Scheulen. Da bietet das Programm schon wertvolle Möglichkeiten.“ In Zusammenarbeit mit der jeweiligen JVA, der Polizei sowie Psychologen werden die Probanden nach ihrer Entlassung in die Risikogruppen A, B und C unterteilt, wobei abstufend A das größte Gefahrenpotenzial eines Rückfalls birgt und C das niedrigste.
Ein ehemaliger Sexualstraftäter kann nach Verbüßen einer Haftstrafe entsprechend mit Auflagen wie dem Verzicht auf Alkohol oder der Maßgabe, sich Kindern nicht nähern zu dürfen, belegt werden. Bis hin zu einer 24-Stunden-Überwachung, was allerdings besondere rechtliche Voraussetzungen erfordert. Scheulen: „Das ist die Ultima Ratio.“ Angesichts einer Rückfallquote von drei Prozent sei das Landesprogramm trotz des tragischen Falls in Bochum ein Erfolg. Aus diesem hat die Polizei Bochum nicht nur eine Lehre im Hinblick auf ihre eigene Informationspolitik gezogen, ergänzt Sprecher Frank Lemanis. Der Fall habe einmal mehr eine unbequeme Wahrheit bestätigt: „Auch mit einem ausgefeilten Schutzprogramm kann man den Menschen immer nur vor den Kopf schauen. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben.“