Gefährliche Wasserblase im Gletscher bedroht Alpengemeinde
Spezialisten verhindern eine Überschwemmungs-Katastrophe am Mont-Blanc. Bei einem ähnlichem Unglück im Jahr 1892 starben 175 Menschen in Saint-Gervais
Paris. Ein riesige Wasseransammlung unter einem Gletscher im Montblanc-Massiv bedroht rund 900 Familien in einem der beliebtesten Tourismusgebiete Frankreichs. Weil die Behörden einen Bruch des Eises und eine Überflutung der Alpengemeinde Saint-Gervais befürchten, begannen Fachleute am Mittwoch mit Abpumparbeiten.
Die fünfzehn Männer des Spezialtrupps arbeiten hoch droben in 3200 Metern Höhe rund um die Uhr. Gebannt verfolgen die Menschen unten im Tal von Saint-Gervais-les-Bains den atemberaubenden Wettlauf mit der Zeit. Es ist ein schweißtreibender Job in eisiger Kälte. Die Experten müssen eine gigantische Wasserblase entschärfen, die sich tief im Bauch des Mont-Blanc-Gletschers gebildet hat und nun mit aller Macht zu platzen droht.
Würde dieses Horror-Szenario Wirklichkeit werden, ginge eine monströse Welle aus Wasser-, Fels- und Geröllmassen über Saint-Gervais (Département Haute-Savoie) nieder. Das malerische Dörfchen ist zwar zwanzig Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt, aber schon 15 bis 30 Minuten nach der Explosion hätte die Todeswelle es erreicht. Sehr wahrscheinlich mit weitaus katastrophaleren Folgen als im Jahre 1892, als schon einmal eine Blase im Gletscher platzte und 175 Menschen dahinraffte. Bis heute ein traumatisches Ereignis.
"Jetzt sind 900 Familien gefährdet", sagt Bürgermeister Jean-Marc Peillex.Erste Hinweise auf die drohende Katastrophe gab's bereits im Juli. Seit Tagen schaffen sie nun schweres Gerät ins ewige Eis des "Tête-Rousse"-Gletschers, Hubschrauber sind pausenlos zwischen Berg und Tal im Einsatz. Dreißig Tonnen Material und Gerätschaften haben sie bereits nach oben verfrachtet.
Über zwei Millionen Euro kostet die aufwändige Mission. Ihr Ziel: Der Bohrtrupp soll zu der etwa vierzig Meter unter dem Eis liegenden Wasserkammer vordringen und Pumpen installieren. Die Dimensionen sind überwältigend: Gletscherforscher des "Laboratoire de Glaciologie de Grenoble" schätzen, dass die Blase im Laufe der Zeit auf 65.000 Kubikmeter angewachsen ist, was in etwa zwanzig Schwimmbecken mit Olympianorm entspricht. Der Durchmesser beträgt etwa dreißig Meter.
Gebohrt wird mit einem thermischen Verfahren. Heißes Wasser, fortlaufend unter Hochdruck in den Gletscher gepresst, bringt das ewige Eis rasch zum Schmelzen. Schon bei der ersten Bohrung am Mittwoch stießen die Spezialisten bis zum späten Nachmittag 25 Meter tief vor. Die erste von später insgesamt drei Pumpen soll täglich 50 Kubikmeter abzapfen.
"Die ersten Kubikmeter sind die wichtigsten, weil so der Druck gesenkt wird", sagt der Baustellenleiter. Berechnungen der Grenobler Gletscherforscher zufolge handelt es sich offenbar um ein System mit mehreren Wasserkammern, die aber miteinander verbunden sind. Erst Mitte Oktober sollen die aufwändigen Pumparbeiten abgeschlossen sein.Obwohl bereits seit Juli ein filigranes Überwachungssystem den Mont-Blanc-Gletscher kontrolliert, sind etliche Bewohner von Saint-Gervais trotzdem um den Schlaf gebracht.
Einige haben es nach Angaben des Bürgermeisters sogar vorgezogen, den Ort vorsichtshalber zu verlassen.Aber selbst wenn das Wasser abgepumpt und die akute Gefahr gebannt ist, bleiben Fragezeigen. "Wir wissen nicht, wie sich der Gletscher danach verhält", sagt Christian Vincent, der Glaziologe. So ist nicht auszuschließen, dass die mächtige Eisdecke über den neuen Hohlräumen langsam absinkt und ein tiefes Loch reißt. Schwarz-Weiß-Bilder der Katastrophe von 1892 zeigen, dass die Absenkung einen gigantischen Krater hinterlassen hat. Schon jetzt gehen die Männer deshalb mit allergrößter Vorsicht zu Werke. "Schon bei der leisesten Absenkung, brechen wir die Arbeit ab", sagt Vincent.