Gerhard Richter im Neuen Museum in Nürnberg
Nürnberg (dpa) - Wenn man den Nürnberger Ausstellungsraum betritt, könnte man meinen, eine Schau von vier verschiedenen Künstlern zu sehen. So unterschiedlich sind die Werke, die der deutsche Maler und Grafiker Gerhard Richter in fast sechs Jahrzehnten geschaffen hat.
Bilder, die von weitem aussehen wie Fotos, hängen neben völlig abstrakten Konstruktionen aus vielfarbigen, ineinander übergehenden Schlieren, Streifen und Punkten. „Sie haben jedoch alle einen gemeinsamen Nenner: die Skepsis Richters gegenüber der Malerei und Bildern - dass man mit ihnen die Wirklichkeit überhaupt erfassen kann“, sagt Sammlungsleiter Thomas Heyden.
Im Neuen Museum in Nürnberg sind 27 Werke des Berliner Sammler-Paars Ingrid und Georg Böckmann zu sehen. Ein zusätzliches stammt aus den Privatbeständen des 82 Jahre alten Künstlers. „Es ist eine Auszeichnung für diese Ausstellung, dass Richter maßgeblich an ihrer Gestaltung beteiligt war“, sagt Heyden. Die 28 Werke von 1957 bis 2003 werden nahezu in der Reihenfolge ihrer Entstehung gezeigt. Nur hier und da hat Richter ein wenig umgestellt, um manche Gegensätze noch deutlicher zu machen.
Die Schau „Ausschnitt“ beginnt mit Richters privatem Werk „Elbe“ von 1957. In den zahlreichen Druckgrafikern lässt sich seine Entwicklung vom Gegenständlichem zum Abstrakten gut erahnen: Auf den ersten Bildern sind noch eine Uferlandschaft und der Mond erkennbar, der Schluss ist nur noch abstrakt. Und so ist auch der Rest der Schau: Von Fotos abgemalte Gemälde wie etwa das Porträt der Schauspielerin Liz Kertelge aus dem Jahr 1966 hängen neben abstrakten Werken wie „Sechs Farben“ aus dem gleichen Jahr. Richters Vorbild hierfür waren Farbmusterkarten aus einem Farbengeschäft. „Richters Werk ist ein permanenter Stilbruch. Unterschiedlicher geht es nicht“, sagt Heyden.
Außerdem typisch: Man weiß oft nicht, ob das Werk abstrakt ist oder etwas sehr Konkretes zeigt - wie das „Stadtbild PL“ von 1970. Aus der Ferne sieht es aus wie ein Ausschnitt einer Straßenkarte. Von nahem sieht man nur noch breite Pinselstriche. Richter arbeite an der „Auflösung unserer Denkmuster“, sagt Heyden: „Wir werden unserer Schubladen beraubt von Richters Kunst - das macht ihre Größe aus.“
Ein Schlüsselwerk für den aus Dresden stammenden Künstler sei das abstrakte Bild „Konstruktion“ aus dem Jahr 1976. Einige Stellen haben eine große räumliche Tiefe, anderswo schwimmen Linien und Farben auf der Oberfläche. Auch das ein Denkanstoß: „Sie können entweder die Oberfläche sehen oder sich auf die Tiefe einlassen - beide haben nichts miteinander zu tun.“
Für das Museum war die Dauerleihgabe von insgesamt 29 Richter-Bildern eine Art Ritterschlag. Damit beherbergt das Haus die drittgrößte Richter-Sammlung weltweit. Zwei der Bilder sind allerdings noch in Berlin. „Canaletto“ und „Eule“ hängen auf ausdrücklichen Wunsch von Angela Merkel noch bis mindestens 2017 im Bundeskanzleramt. „Eule hängt da, wo sie immer davor steht, wenn wichtige Leute kommen“, sagt Sammler Georg Böckmann. Er freue sich immer, wenn er das Bild im Fernsehen sehe - etwa wenn der Dalai Lama oder Hillary Clinton zu Besuch seien. Danach sollen sie nach Nürnberg kommen. „Hierfür sind sie vorgesehen“, sagt Böckmann.
Mit einem Werk ist der Sammler sogar ganz persönlich verbunden. Auf der Rückwand von „Schädel mit Kerze“ - eines der wertvollsten Bilder der Ausstellung, weil das Motiv einzigartig bei Richter ist - hat der Künstler vermerkt: „Memento mori GB“. Damit sei Georg Böckmann gemeint, sagt Heyden. Der Sammler sagt, er sei froh, dass die Richter-Werke jetzt dauerhaft und gesammelt im Neuen Museum seien. Vorher hingen sie auf mehrere Häuser verstreut. „Es ist gut, dass die Bilder jetzt hier bei Fachleuten sind. Ich bin doch Laie. Ich habe doch keine Ahnung“, sagt der bekannte Sammler bescheiden.