Geschworene beraten über Jackson-Arzt
Los Angeles (dpa) - Es hagelte Vorwürfe, es flossen Tränen, es gab Applaus: In ihren Schlussplädoyers am Donnerstag zogen Anklage und Verteidigung noch einmal alle Register, um die Jury von der Schuld oder Unschuld des Herzspezialisten Conrad Murray am Tod von Popstar Michael Jackson zu überzeugen.
Jacksons Mutter Katherine und seine Schwester La Toya wischten sich Tränen weg, als die Rede auf die Kinder des Sängers kam, berichtete das Promi-Portal „People.com“. „Für Michaels Kinder geht dieser Fall ewig weiter, weil sie keinen Vater mehr haben“, sagte der Staatsanwalt David Walgren mit Grabesstimme im Gericht von Los Angeles. „Paris schrie 'Daddy', als sie unter Tränen zusammenbrach“ - so malte der Anklagevertreter die Szene im Juni 2009 aus, als Jacksons Tochter Paris ihren Vater leblos in seinem Bett liegen sah.
Dutzende Fans des Sängers, die sich vor dem Gerichtssaal drängten, applaudierten nach dem emotionalen Finale Walgrens, berichtete der US-Sender CNN. Der Jurist hatte den wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Murray (58) scharf attackiert. Er hielt ihm „bizarren, unethischen und gewissenlosen Umgang“ mit seinem prominenten Patienten vor. Jacksons Schlaflosigkeit mit dem starken Narkosemittel Propofol zu behandeln, beschrieb Walgren als „obszönes Experiment“, das kein anderer Arzt jemals probiert habe.
Er habe grob fahrlässig und kriminell gehandelt und den Tod des Sängers „direkt“ verursacht. Er habe im Polizeiverhör gelogen, Sanitätern und Medizinern wichtige Informationen verschwiegen und nur an seinen eigenen Vorteil gedacht. Mehr als zwei Stunden lang prasselten die Vorwürfe auf den Zwei-Meter-Mann Murray ein, bevor die Verteidigung in ihrem Plädoyer den Herzspezialisten als Opfer eines medikamentensüchtigen Stars in Schutz nahm.
Der Mediziner sei nur „ein kleiner Fisch in einem großen schmutzigen Teich“, sagte Verteidiger Ed Chernoff mit Blick auf die vielen Ärzte, von denen sich der Popstar über Jahre hinweg mit starken Mitteln versorgen ließ. Er warnte die Juroren: Die Anklage verlange von ihnen, „Conrad Murray für die Taten von Michael Jackson“ zu verurteilen. Alles deute darauf hin, dass Jackson sich selbst eine tödliche Dosis spritzte, als sein Arzt abwesend war, sagte Chernoff.
Die Kontrahenten fuhren scharfes Geschütz gegen die wichtigsten Zeugen der jeweils anderen Seite auf. Der Propofol-Experte Paul White habe nur „Schrott-Wissenschaft“ und „Müll“ geliefert, wetterte Walgren. Chernoff konterte, die Anklage habe mit ihren vielen Zeugen „absolut versagt“, ein Verbrechen zu beweisen. Nur weil der Patient berühmt war, sei Murray angeklagt worden. „Wäre es ein anderer als Michael Jackson gewesen, würde dieser Arzt heute hier stehen?“, spekulierte Chernoff.
Nach einem fast sechswöchigen Verfahren mit 49 Zeugen mutmaßten Prozessbeobachter über ein möglicherweise schnelles Ende bei der Urteilsfindung. Die sieben Männer und fünf Frauen müssen zu einem einstimmigen Ergebnis kommen. Bei ihrer Beratung ist jede Zeitspanne möglich, wie frühere spektakuläre Prozesse zeigen.
In dem Mordprozess gegen den amerikanischen Footballstar O.J. Simpson hatte sich die Jury 1995 in Los Angeles überraschend schnell geeinigt. Nach nur vierstündiger Diskussion war Simpson vom Vorwurf des Doppelmordes frei gesprochen worden. Die Jury im Mordprozess gegen den Sektenführer Charles Manson brauchte 1971 hingegen eine ganze Woche für den Schuldspruch.
Sieben Tage debattierte auch die Jury 2005 im kalifornischen Santa Maria über die Missbrauchsvorwürfe eines Jungen gegen Michael Jackson. Am Ende wurde der Sänger in allen Punkten freigesprochen. Die Jury hatte länger als 32 Stunden hinter geschlossenen Türen getagt. Im Falle eines Schuldspruchs drohten dem Popstar damals mehr als 20 Jahre Haft. Murray könnte höchstens vier Jahre hinter Gitter kommen. Wird er schuldig gesprochen, muss der Arzt auch mit dem Entzug seiner Lizenz rechnen.