15-Jährige regt Änderung an: Schwer-in-Ordnung-Ausweis statt Schwerbehindertenausweis

Hannover. Vier Fernsehkameras sind auf die 15-jährige Hannah Kiesbye gerichtet. Blitzlichter der Pressefotografen leuchten auf. Das Mädchen mit der modischen Brille und dem roten Sweatshirt liest mit fester Stimme seinen selbst geschriebenen Text.

Ihren selbstentworfenen "Schwer-in-Ordnung-Ausweis" hält die 15-jährige Hannah Kiesbye (r) aus Pinneberg in Schleswig-Holstein während einer Pressekonferenz im niedersächsischen Sozialministerium in den Händen.

Foto: Holger Hollemann

Darin heißt es: „Ich finde Schwerbehindertenausweis ist nicht der richtige Name für meinen Ausweis. Ich möchte lieber das der Schwer in Ordnung Ausweis genannt wird.“ Diese Idee hat nun die Bundesvereinigung Lebenshilfe aufgenommen und eine Umbenennung des Ausweises angeregt.

Hannah Kiesbye hat das Down-Syndrom. Doch unterkriegen lässt sich die quirlige Schülerin aus Halstenbek in Schleswig-Holstein deshalb noch lange nicht. Weil sie sich darüber ärgerte, dass sie beim Einsteigen in den Bus ihren Schwerbehindertenausweis vorzeigen muss, schrieb sie dazu im vergangenen Herbst einen Artikel für „Kids Aktuell“, einer Zeitschrift des Hamburger Informationszentrums zum Thema Down Syndrom. Und gestaltete auch gleich selbst die Hülle für den Ausweis neu - in „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“.

Am Dienstag sitzt Hannah bei einer Pressekonferenz im niedersächsischen Sozialministerium, schlürft Unmengen von Apfelsaft und hat mit dem Rummel um ihre Person gar kein Problem. „Am Anfang war es schon komisch, aber mit der Zeit ist es irgendwie auch cool.“

Hannahs Idee hat bundesweit Furore gemacht. In Brandenburg, Hamburg und Rheinland-Pfalz gibt es bereits Hüllen mit der Aufschrift „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“. Niedersachsen übernahm die Idee und rief Menschen mit Behinderungen auf, eine Alternative für die Bezeichnung „Schwerbehindertenausweis“ zu finden. Bei dem Wettbewerb gingen 236 Vorschläge ein. Eine Jury kürte Hannahs Idee und den Vorschlag „Teilhabe-Ausweis“ von Blindenverbandschef Hans-Werner Lange zu den Siegern. Schwerbehinderte in Niedersachsen haben nun die Wahl.

Carolin Lutter (28) aus Hespe im Landkreis Schaumburg und ihr Freund Christian Martin (25) aus Langenhagen bei Hannover greifen sofort zur Variante „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“. Die beiden sind die ersten Niedersachsen, die die neue Hülle bekommen. „Jeder von uns ist doch wertvoll - das ist in dem Namen gut ausgedrückt“, sagt Lutter.

Hannah sieht das ähnlich. Sie besucht die neunte Klasse einer integrativen Schule in Pinneberg, reitet gern, mag Mathe und tritt seit fünf Jahren mit einer Akrobatik-Truppe auf. Alles ganz normal also. „Die Bezeichnung Schwerbehindertenausweis ist einfach doof“, bringt sie die Sache auf den Punkt.

Die meisten Menschen, die einen Schwerbehindertenausweis benötigen, bekämen ihre Behinderung erst in einer späteren Phase des Lebens, sagt Petra Wontorra, niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen. Diese Menschen beantragen den Ausweis mit Blick auf mögliche Erleichterungen im Alltag, die er bringt. „Und doch weinen viele, wenn sie diesen Ausweis in der Post haben.“

Die Benennung des Schwerbehindertenausweises selbst ist Sache des Bundes. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe regt an, auch das Dokument umzubenennen - nicht nur die Hülle. „Wenn sich Menschen durch die Bezeichnung diskriminiert fühlen, wäre es eine Debatte wert, ob man den Ausweis umbenennt. Beispielsweise in Teilhabe-Ausweis oder Inklusions-Ausweis“, sagt Geschäftsführerin Jeanne Nicklas-Faust. dpa