Brüderle bekommt in Sexismus-Debatte weiter Gegenwind
Berlin (dpa) - Der FDP-Politiker Rainer Brüderle bekommt in der Sexismus-Debatte weiter Gegenwind. Am Freitag rügten Prominente und Experten das vom Magazin „Stern“ beschriebene Verhalten des FDP-Fraktionschefs gegenüber Frauen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warb nach den Sexismus-Vorwürfen gegen Brüderle für korrekte Umgangsformen zwischen Politikern und Journalisten. Bundesfrauenministerin Kristina Schröder (CDU) ließ mitteilen, sexuelle Belästigung sollte unabhängig vom Einzelfall als Dauerthema diskutiert werden.
„Plump, geil und ekelhaft“ nannte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Knigge Gesellschaft, Hans-Michael Klein, das Brüderle vorgehaltene Benehmen. In den Zeitungen der WAZ-Gruppe (Samstag) sprach Klein von einem „heiklen Thema“. Anscheinend sei es „schwer in Mode“ gekommen, sich über Sexismus im Business zu beschweren. Das sei auch in Ordnung, solange es nicht in Hysterie ausarte. „Anbaggern an sich ist legitim. Es kommt aber auf die richtige Form an“, fügte Klein hinzu.
Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer meinte, seit die „Stern“-Journalistin Laura Himmelreich Klartext geschrieben habe, sei Brüderle „kein Politiker mit Zukunft mehr, sondern ein Mann von gestern“. In ihrem Blog schrieb die 70-Jährige: „Das beklagte sexistische Verhalten disqualifiziert endlich auch den Mann.“ Im Internet schlugen das Thema sexuelle Belästigung und der „Stern“-Bericht darüber hohe Wellen. Brüderle schwieg auch am Freitag weiter zu den Vorwürfen.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin: „Die Bundeskanzlerin steht selbstverständlich für einen menschlich professionellen und respektvollen Umgang in der Politik wie auch zwischen Politikern und Medienvertretern.“ Zu dem Artikel im „Stern“, der Brüderle anzügliche Bemerkungen gegenüber einer Journalistin vorgeworfen hatte, wollte sich Seibert nicht äußern.
Die FDP-Politikerin und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisierte die Zeitschrift. „Der Zeitpunkt der Veröffentlichung lässt nur einen Schluss zu: Dem "Stern" geht es nur um seine Auflage. Wer online mit der Zeile titelt "Der spitze Kandidat", der bedient sich einer sexistischen Sprache, die unterirdisch ist“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger am Freitag „Spiegel Online“.
Eine Sprecherin von Familienministerin Schröder erklärte, viele Frauen seien mit sexueller Belästigung konfrontiert. Sie verwies auf eine Studie aus dem Jahr 2004, die das Ministerium in Auftrag gegeben hatte. Danach gaben 58 Prozent der befragten Frauen an, mindestens einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden zu sein, davon 42 Prozent am Arbeitsplatz.
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth rügte alltäglichen Sexismus in der Gesellschaft. „Es ist unfassbar, wie viele Männer es gar nicht merken, wenn sie Diskriminierungen herunterspielen oder sogar meinen, sexistisches Verhalten sei schlicht ihr gutes Recht“, sagte Roth „Spiegel Online“. „Die Art der Debatte um alltäglichen Sexismus und um die Frauen, die es einmal deutlich aussprechen, zeigt wie salonfähig Sexismus heute immer noch ist.“ Es sei „sehr bezeichnend, dass jetzt die Journalistinnen für das Thematisieren angegriffen und zu Täterinnen gemacht werden sollen.“
Die Journalistin Wibke Bruhns sagte der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ/Freitag) über Brüderle: „Ich finde es nicht in Ordnung, wenn er es getan hat.“ Im „Tagesspiegel“ aus Berlin schränkte die ehemalige politische Korrespondentin (74) allerdings ein, sie halte die Geschichte für unseriös: „Die FDP hat einen neuen Spitzenkandidaten, das ist ein Thema - und nicht die Probleme von Frau Himmelreich mit Herrn Brüderle. Der "Stern" hat hier eindeutig aus Kalkül gehandelt, um Schlagzeilen zu machen.“
Für Alice Schwarzer markiert der „Stern“-Bericht eine Wende in der Berichterstattung. „Es ist neu, dass diese Art von sexistischem Verhalten nicht im besten Fall als peinlich abgetan, sondern als politisch gewertet wird“, schrieb sie. „Dass es also einer der Faktoren ist, an denen wir messen müssen, ob dieser Mann geeignet ist für eine politische Spitzenposition.“
Die Sexismus-Debatte wurde auch intensiv in den sozialen Netzwerken geführt. Im Kurzmitteilungsdienst Twitter teilten unzählige Menschen unter dem Hashtag (Stichwort) #aufschrei ihre Erfahrungen mit alltäglichem Sexismus mit. Der Begriff #aufschrei war deutschlandweit schon am Morgen der meistgenannte Begriff. Im Sekundentakt gingen neue Tweets ein. Vor allen Frauen twitterten über erlebte Beleidigungen, Diskriminierungen und Übergriffe. Aber auch Männer beteiligten sich an der Diskussion.