Bücher und Fernsehen deutlich vor Streaming

Berlin (dpa) - Mancher hält Seriensucht und Angst vor Spoileralarm inzwischen für Massenphänomene. In vielen Familien, Freundeskreisen oder Büros scheint es oft nur eine einzige Frage zu geben: Welche Serie(n) guckst Du zurzeit?

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Berlin (dpa) - Mancher hält Seriensucht und Angst vor Spoileralarm inzwischen für Massenphänomene. In vielen Familien, Freundeskreisen oder Büros scheint es oft nur eine einzige Frage zu geben: Welche Serie(n) guckst Du zurzeit?

Einige stehen kurz vorm Burnout, wenn sie daran denken, was sie alles noch sehen müssen/wollen/könnten. Der Traum vom idealen Leben sähe dann so aus: eine von DVDs oder auch Büchern leergeräumte Wohnung, dafür Abos von allen Streamingdiensten (Online-Videotheken) und ganz viel Freizeit, um auf dem Flachbildschirm all die tollen Serien anzuschauen.

Serienjunkies gibt es in allen Altersgruppen und auch unter Promis: „Ich bin totaler Serienfan“, sagte im dpa-Interview etwa der „Deutschland 83“-Schauspieler Jonas Nay (25). Regisseur Volker Schlöndorff (76) nannte sich im dpa-Gespräch „süchtig“ nach US-Serien wie „Homeland“, „Breaking Bad“ oder „The Wire“. Auch „Tatortreiniger“ Bjarne Mädel (47) tappte nach eigenen Worten in die „Serienfalle“ und tendiert zum Komagucken (dem sogenannten Binge Watching).

Bestsellerautorin Charlotte Roche (37) sagte im „Spiegel“: „Alles, was in Serien passiert, ist krasser und besser als im echten Leben.“ Sie gucke „vier, fünf Stunden am Tag“, eine Art „Lebensflucht“. „In einer Serie lernt man die Figuren ja viel besser kennen als in einem Kinofilm, die werden fast wie Familienmitglieder.“

Allein in den USA gibt es Hunderte Produktionen, Beispiele zu nennen ist völlig willkürlich. Es geht um Formate wie „House of Cards“, „The Walking Dead“, „American Horror Story“, „Orange Is the New Black“, „The Affair“, „True Detective“, „Fargo“, „Narcos“, „Bloodline“, „Mr. Robot“, „Mozart in the Jungle“, „Transparent“ und und und.

Bald könnte es Amerikas boomende Kreativitätsindustrie mit einer platzenden Serienblase zu tun bekommen. Doch noch dauert der Hype in den Vereinigten Staaten an. In Deutschland aber scheint das gesellschaftliche Phänomen nur bei Teilen der Bevölkerung anzukommen.

Vor allem bei Jüngeren gehört es mittlerweile zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen, in die neuesten amerikanischen Serien mit ihren komplexen Charakteren und lässigen Storys abzutauchen. Doch für eine Mehrheit der Gesamtbevölkerung gehören Netflix, der Videodienst von Amazon oder auch Maxdome und Watchever weniger zum Leben.

Vielen scheint auszureichen, dass ausgesuchte Serienerfolge - auch britische wie „Downton Abbey“ oder „Sherlock“ - mit einiger Verzögerung bei den großen deutschen Free-TV-Sendern laufen.

In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur wählten 38 Prozent die Option „Film-Streaming“, wenn sie unter gängigen Unterhaltungsmedien angeben sollten, worauf sie persönlich dauerhaft verzichten könnten. Als weniger entbehrlich wurden dagegen gedruckte Bücher genannt (von nur 13 Prozent der Befragten) sowie das klassische Fernsehen (14 Prozent), Musik-CDs (21 Prozent) oder DVDs (24 Prozent).

Beim Streaming zeigt sich, wie gespalten die Gesellschaft beim Medienkonsum ist: Ältere (ab 55) machen es oft gar nicht und können dementsprechend gut darauf verzichten - nämlich zu 50 Prozent. Am beliebtesten ist das Streamen demnach bei Menschen zwischen 25 und 34: nur 24 Prozent halten es in dieser Altersgruppe für verzichtbar. Bei den Menschen zwischen 18 und 24 finden es 27 Prozent verzichtbar.

In einer anderen Umfrage fand YouGov heraus, dass nur 6 Prozent ihre Serien aus den USA oder Großbritannien (also mit Englisch als Originalsprache) „immer in der Originalfassung“ ansehen, wenn das möglich ist. Die Mehrheit bevorzugt hingegen die Synchronfassung. Bei denjenigen, die die Originalfassung schauen, schaltet etwa die Hälfte „meistens“ englische oder deutsche Untertitel als Hilfe hinzu.

Auf die Frage, welches Unterhaltungsmedium die Leute regelmäßig benutzen - also mindestens einmal pro Woche - antworteten lediglich 21 Prozent mit „Film-Streaming“ in der YouGov-Umfrage für dpa. „Musik-Streaming“ (etwa per Spotify, Tidal, Napster, Deezer oder Apple Music) sagten 17 Prozent. Dagegen nannten 89 Prozent das klassische Fernsehen, 52 Prozent gedruckte Bücher, 43 Prozent Musik-CDs und 30 Prozent DVDs.

Bei der Frage, was die Leute unter bestimmten Kulturprodukten im letzten halben Jahr für sich selbst kauften, lag ganz altmodisch das gedruckte Buch bei 53 Prozent vorne. Dahinter erst kamen Kinokarte (39 Prozent), CD (33 Prozent) oder DVD (31 Prozent).

Ob das Buch nun wirklich am beliebtesten ist oder nur genannt wird, weil es in der angeblichen Dichter- und Denkernation Deutschland die sozial erwünschte Antwort zu sein scheint, bleibt dabei unklar. Ehrlicherweise: „Nichts davon“ kauften laut Umfrage 23 Prozent.