Frauenrechtlerin Alice Schwarzer wird 70
Köln (dpa) - An kaum einer Person scheiden sich die Geister so sehr wie an Alice Schwarzer. Die Kölner Journalistin und Autorin ist Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin, ihre Verdienste um die Gleichberechtigung werden allgemein anerkannt.
Schwarzer, die am 3. Dezember 70 Jahre alt wird, ist aber auch heftig umstritten und kennt Anfeindungen und Häme als ständige Begleiter. Junge Feministinnen gehen klar auf Distanz zu ihr. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa bilanziert die Chefredakteurin der feministischen Zeitschrift „Emma“: Widerstand und Engagement all die Jahre haben sich gelohnt.
Schwarzer sieht sich als eine wissensdurstige, lebenslustige Frau, die gern feiert, viele Freunde hat. So beschreibt sich die gebürtige Wuppertalerin in ihrer Autobiografie „Lebenslauf“ (2011). Darin gibt sie erstmals auch Einblicke in ihr Privatleben. Sie hat Männer und Frauen geliebt, ist seit Jahren liiert mit einer namentlich nicht genannten Frau. Sie sei tolerant und auch verletzlich, sagt Schwarzer über Schwarzer in Interviews. Viele beschreiben sie als charmant, eloquent. Auch in Talkrunden oder Vorträgen überzeugt sie so manchen mit scharfem Verstand und scharfer Zunge. 2005 hat Schwarzer das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Es gibt aber auch das andere, wenig schmeichelhafte Bild: Schwarzer als autoritäre Figur, besserwisserisch, machtbesessen - ein weiblicher Macho. Zu ihren Kritikern gehören die frühere „taz“-Chefredakteurin Bascha Mika oder auch die Journalistin Lisa Ortgies, die im Jahr 2008 kurz als „Emma“-Chefredakteurin amtierte, dann aber schnell wieder den Posten räumte. Viele junge Autorinnen wie Charlotte Roche oder Forscherinnen halten Schwarzers Themen für nicht mehr aktuell, manche meinen, es sei Zeit abzutreten. Historikerin Miriam Gebhardt schreibt in „Alice im Niemandsland“ (2012), Schwarzer sei ideologisch unbeweglich und verbreite wie eine Matriarchin immer dieselben „Wahrheiten“.
Schwarzer entgegnet: „Mit meiner Realität haben diese Klischees wenig zu tun.“ Viele Themen, die sie führend vorangetrieben habe, „lagen und liegen international in der Luft“, betont die „Emma“-Macherin. Der Einsatz für das Recht auf Abtreibung gehört dazu, auch der lange Kampf gegen Pornografie. „So manches Mal war "Emma" aber auch weltweit eine der ersten, die das Tabu brach“, sagt Schwarzer. Das gelte für die Aufklärung über Genital-Verstümmelung und sexuellen Missbrauch schon in den 70er Jahren oder auch die Forderung nach einer Homoehe und einer Väterzeit ab den 80er Jahren. Und: „Mit der Aufklärung über die Gefahren des fundamentalistischen Islam ab 1979 standen wir über 20 Jahre in der westlichen Welt quasi allein da.“
Schwarzer mischte erst in Frankreich stark in der Frauenbewegung mit, dann wurde sie feministische Frontfrau in Deutschland. Der „Kleine Unterschied“ machte sie 1975 berühmt. Zwei Jahre später startete sie „Emma“, die nun 37 Jahre alt wird. Viele Kampagnen hat Schwarzer angezettelt, Unterdrückung von Frauen angeprangert, Flagge gezeigt gegen Benachteiligung in der Arbeitswelt oder auch Diätwahn - manches Mal wurde sie dafür auch übel beschimpft.
Geschadet haben ihrem Ansehen zwei Engagements für die „Bild“. 2007 stellte sich Schwarzer dem Boulevardblatt für eine Imagekampagne zur Verfügung, obwohl sie es vorher als frauenverachtend attackiert hatte. Kollegen wie Günter Wallraff oder Hans Leyendecker sahen ihre Glaubwürdigkeit beschädigt. Dasselbe auch, als sie für „Bild“ vom Vergewaltigungsprozess gegen Wettermoderator Jörg Kachelmann berichtete. Schwarzer sagt, sie habe gegen den Medien-Mainstream angeschrieben, der einseitig für Kachelmann Partei ergriffen habe. Er wurde im Mai 2011 aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Der „verlogene Fall“ ekele sie an, erzählt Schwarzer. Das Landgericht Köln hatte ihr jüngst in einer einstweiligen Verfügung eine „Emma“-Glosse verboten, weil der Eindruck erweckt werde, Kachelmann habe die Vergewaltigung begangen. Schwarzer bestreitet diese Darstellung und will sich notfalls durch alle Instanzen wehren.
Einen heftigen Sturm hat sie gerade überstanden: Zu Jahresbeginn war ihr Feminismus-Archiv in Gefahr. Die Landesregierung hatte die Mittel gekürzt. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) sprang mit einer Vier-Jahres-Zusage ein. „Großartig“, sagt die Publizistin dankend. Ihr Lob gilt aber nur Schröders Hilfe, nicht ihrer Frauen-Politik. 2010 hatte sie der Ministerin feindselig Versagen vorgeworfen, ihr polemisch zu einem Job als Pressesprecherin „konservativer Männerbünde“ geraten. Schröder hilft ihr nun trotzdem aus der Patsche.
Auch mit 70 Jahren denkt Schwarzer nicht ans Aufhören. Den zweiten Teil ihrer Autobiografie will sie schreiben, „Emma“ weiter steuern, Vorträge und Lesungen stehen an. Wie sagte sie jüngst? „Ich werde denken, schreiben und handeln, so lange ich lebe.“