Solidarität Gottschalk und Kollegen lesen Yücel-Texte
Köln (dpa) - Es sind etwa eineinhalb Stunden vergangen, als Thomas Gottschalk den Geist von „Wetten, dass..?“ in die Lesung holt. „Für mich ist wichtig, dass sie wissen, dass ich nicht deswegen da bin, weil es heute kein Möbelhaus zu eröffnen gab“, sagt er.
Das Publikum johlt. Typischer Gottschalk, nimmt sich selbst nicht so ernst. Dann schiebt der ewige Showmaster aber hinterher: „Es ist mir ein wirkliches Anliegen.“ Und fängt an, zu lesen.
Das Anliegen, das Gottschalk meint, ist die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel. Im WDR-Funkhaus in Köln haben sich am Donnerstagabend gleich mehrere Fernsehstars eingefunden, um Solidarität mit ihm zu zeigen. Neben Gottschalk sind auch Oliver Welke und Olli Dittrich gekommen, ebenso Comedian Oliver Polak, Enthüllungsjournalist Günter Wallraff und die Moderatorin Christine Westermann. Auch Yücels Schwester Ilkay Yücel ist dabei - und Mitglieder seines Abi-Jahrgangs. Sie lesen Texte von ihm, um die Erinnerung wachzuhalten.
Seit Februar sitzt der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent in der Türkei in Haft, ohne Anklage. Noch kurz vor der Lesung ist ein Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“ erschienen, in dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Yücel einen „Terrorverdächtigen“ nennt und sagt, er könne die Bemühungen Berlins für seine Freilassung nicht verstehen. Die Situation scheint verfahren. Eigentlich keine gute Gemengelage für Witze.
Dennoch wird viel gelacht. Es ist nicht die erste Lesung dieser Art, aber eine mit einem auffallend hohen Anteil von Menschen, die mit Humor ihr Geld verdienen. Und Gottschalk hat bereits auf der „Wetten, dass..?“-Couch die Kunst perfektioniert, die komplizierte Politik nur so nah ranzulassen, dass man sie - wenn überhaupt - bemerkt, aber nicht an ihr zerbricht. Ein Unterhalter, egal ob gerade Cindy Crawford oder der Bundeskanzler vorbeischauten.
Und das passt gut zum Sound von Yücels Texten, die bei aller Ernsthaftigkeit auch immer Mutterwitz erkennen lassen. Etwa wenn Olli Dittrich „Deutschland schafft sich ab“ vorliest. Eine Nation, die seit „jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune“ auffalle, die könne doch gern verschwinden, rezitiert der Komiker genüsslich.
So ist es auch bei der Grußbotschaft, die der Journalist speziell für diesen Abend seinen Anwälten mit auf den Weg nach Deutschland gegeben hat. Gottschalk liest sie vor. Yücel berichtet darin, dass er neuerdings eigene Bücher lesen dürfe. Aus einer Ausgabe von Tolstois „Krieg und Frieden“, die ihm seine Schwester geschickt habe, seien allerdings die Grüße seiner Nichten herausgerissen worden. „Dieser Staat sperrt mich aufgrund meiner deutschsprachigen Artikel ein, hält mir aber zwei auf Deutsch verfasste Zeilen meiner Nichten vor“, stellt Yücel fest. „Das ist schon ein lustiges Land.“
Vor allem gehe es darum, das Thema im Bewusstsein zu halten, sagt Oliver Welke der Deutschen Presse-Agentur. „Denn eine Nebenwirkung unseres Internetzeitalters ist ja, dass die Leute sich immer kürzer auf ein Thema konzentrieren können. Themen geraten wahnsinnig schnell in Vergessenheit.“
Yücel selbst kann den von der Radiowelle WDR Cosmo übertragenen Abend nicht hören oder sehen. Aber es soll ihm davon berichtet werden.