Im Rampenlicht: „Opfer-Abo“ neues „Unwort“
Darmstadt (dpa) - Kurz bevor Nina Janich das „Unwort des Jahres 2012“ verkündet, sagt sie als Jury-Sprecherin schnell noch einen Satz, der ihr wichtig ist: „Die Häufigkeit der Einsendungen ist nicht ausschlaggebend für die Wahl.“
Dann lüftet sie am Dienstag das Geheimnis: „Opfer-Abo“. Genau 2241 Einsendungen sind es - „Opfer-Abo“ war aber nur einmal vorgeschlagen worden, ein Außenseiter also. Für „Schlecker-Frauen“, 163 mal genannt und damit an der Spitze, wollte sich die Jury nicht erwärmen.
Als „Unwörter“ vorgeschlagen werden können Begriffe, die gegen die Menschenwürde verstoßen, gegen Prinzipien der Demokratie, auch Schlagworte, die gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder die euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind. „Wichtig ist, dass die betreffenden Wörter und Formulierungen öffentlich geäußert wurden, eine gewisse Aktualität besitzen“, meint die Jury.
Das Gremium arbeite „ehrenamtlich und unabhängig“, unterstreicht Janich (44) dann noch. Die Jury besteht hauptsächlich aus den vier Sprachwissenschaftlern Prof. Nina Janich (Darmstadt), Dr. Kersten Sven Roth (Zürich), Prof. Jürgen Schiewe (Greifswald), Martin Wengeler (Trier) und dem Journalisten Stephan Hebel von der „Frankfurter Rundschau“.
Mit dem Begriff „Opfer-Abo“ kommt nun auch derjenige wieder ins Rampenlicht, der das Schlagwort zwar ausgesprochen hat, um den es aber inzwischen etwas ruhiger geworden war: Jörg Kachelmann. Der Wetterfrosch und Moderator stand wegen Vergewaltigungsvorwürfen vor Gericht, wurde 2011 freigesprochen.
In einem „Spiegel“-Interview meinte er im Oktober 2012 mit Wut im Bauch, Frauen würde bei Vergewaltigungen schnell die Opferrolle zugesprochen, sie hätten also ein „Opfer-Abo“.
Hier sieht die Jury Bedingungen für ein „Unwort“ erfüllt. „Ausdrücke dieser Art drohen letztlich den zivilgesellschaftlichen und juristischen Umgang mit sexueller Gewalt in bedenklicher Weise zu beeinflussen“, lautet die Begründung in der Mitteilung. Janich sagt es später auch etwas einfacher: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Sprache und Denkweise.“ Die Wahl von „Opfer-Abo“ zum „Unwort“ solle klarmachen, „dass man so etwas nicht sagen darf“.
Dass die „Unwort“-Jury einen Außenseiter wählt, stößt auch auf Kritik. Ein bisschen bekannt sein sollte der Begriff schon, meinte unter anderem der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, Heinrich Detering. Ähnlich äußert sich auch der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, Ludwig Eichinger. Beifall kam hingegen von der Feministin Alice Schwarzer: Die Jury habe ein „bedeutendes Zeichen“ gesetzt.