Experten-Jury hat entschieden Das „Unwort des Jahres“ 2017 heißt „alternative Fakten“
Darmstadt (dpa) - Der Begriff „alternative Fakten“ ist das „Unwort des Jahres“ 2017. „Die Bezeichnung ist der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen.“
Das sagte die Jury-Sprecherin, Linguistik-Professorin Nina Janich, in Darmstadt. Der Ausdruck geht auf Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway zurück.
Die Juroren rügten zudem den Begriff „Shuttle Service“ im Zusammenhang mit Seenotrettungseinsätzen von Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer für Menschen, die in Schlauchbooten flüchten. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer, habe den Begriff benutzt. Nach Auffassung der Jury steht er „stellvertretend für Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, die Grenzen des Sagbaren in eine menschenverachtende, polemisch-zynische Richtung zu verschieben“.
Außerdem prangerten die Sprachwissenschaftler die Formulierung „Genderwahn“ an. Mit diesem Ausdruck würden in konservativen bis rechtspopulistischen Kreisen zunehmend Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit in undifferenzierter Weise diffamiert.
Mit der Formulierung „alternative Fakten“ hatte Trump-Beraterin Conway die falsche Tatsachenbehauptung bezeichnet, zur Amtseinführung des US-Präsidenten Anfang 2017 seien so viele Feiernde auf der Straße gewesen wie nie zuvor bei entsprechender Gelegenheit.
Conway hatte am 22. Januar in einer NBC-News-Sendung auf die Frage, warum Spicer „widerlegbare falsche“ Angaben zu den Zuschauerzahlen bei der Trump-Vereidigung gemacht habe, gesagt: „Sie sagen, dass es eine falsche Behauptung ist, und Sean Spicer, unser Pressesprecher, hat alternative Fakten dazu vorgelegt.“
„Der Ausdruck ist seitdem aber auch in Deutschland zum Synonym und Sinnbild für eine der besorgniserregendsten Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, vor allem auch in den sozialen Medien, geworden“, sagte Janich. Er stehe „für die sich ausbreitende Praxis, den Austausch von Argumenten auf Faktenbasis durch nicht belegbare Behauptungen zu ersetzen“. Der Ausdruck war 65 Mal vorgeschlagen worden.
Die sechsköpfige Experten-Jury hat das „Unwort des Jahres“ und die beiden anderen Unwörter aus 684 verschiedenen Vorschlägen ausgesucht. Nur etwa 80 bis 90 dieser Vorschläge entsprachen den Kriterien der sprachkritischen Aktion, wie Janich sagte. Daraus habe die Fachjury knapp 20 Wörter in die engere Wahl gezogen. Insgesamt wurden 1316 Einsendungen per Brief oder Mail gezählt. Zudem erhielt das diesjährige Jury-Mitglied Barbara, eine mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete anonyme Street-Art-Künstlerin - etwa 3500 Beiträge zu möglichen Unwörtern über die sozialen Netzwerke.
Zum „Unwort des Jahres“ wird seit 1991 jedes Jahr ein Begriff gekürt, der gegen das „Prinzip der Menschenwürde“ oder gegen „Prinzipien der Demokratie“ verstößt, weil er einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminiere oder „euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend“ sei. 2016 war die Wahl auf „Volksverräter“ gefallen, 2015 auf „Gutmensch“.
Ziel der sprachkritischen Aktion ist es, auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam zu machen und dadurch das Bewusstsein und die Sensibilität für Sprache zu fördern. Die Jury wählt Formulierungen aus der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder die Humanität verstoßen. Die Wörter sollen zudem eine „gewisse Aktualität“ haben und der Kontext, in denen sie gefallen sind, muss belegt sein.