„New York Review of Books“ wird 50
New York (dpa) - Auf den ersten Blick wirkt die „New York Review of Books“ wie vollkommen aus der Zeit gefallen. Dünnes, schlecht griffiges Papier, ein unpraktisches Format größer als ein Magazin, aber kleiner als eine Zeitung, und das Bleiwüsten-Layout einer Schülerzeitung im Anfangsstadium.
Wie per Hand ausgeschnitten und zusammengesetzt wirken die kleinen Bildchen und verschiedenfarbigen Schlagzeilen auf der Titelseite - der Kontrast zu all den anderen grellbunt-glänzenden Zeitschriftencover der Kiosk-Auslagen könnte größer nicht sein.
Aber auch das Lob, mit dem diese wohl zu den ungewöhnlichsten Printprodukten der Welt zählende Zeitschrift überschüttet wird, könnte kaum größer sein. „Phänomenal“ jubelte das einflussreiche US-Magazin „The Atlantic“ jüngst und „Esquire“ kürte die „New York Review of Books“ gar zum „wichtigsten literarisch-intellektuellen Magazin in englischer Sprache“. Der Schriftsteller Tom Wolfe nannte sie „das bedeutendste Theorie-Organ des radikalen Chic“. Am 1. Februar wird die so wenig allen Trends folgende und gleichzeitig so hochgelobte Zeitschrift 50 Jahre alt - und konnte, auch das allen Trends der Medienwelt zum Trotz, ihre Auflage gerade noch einmal erhöhen.
Rund 140 000 Menschen lesen Medienberichten zufolge die 20 jährlichen Ausgaben der „New York Review of Books“, die sich, obwohl sie so heißt, bei weitem nicht nur um Bücher dreht. Auch Videospiele, Kinofilme, politische Diskussionen, gesellschaftliche Trends, Kunst und alle weiteren nur denkbaren Themen kommen vor. „Es gibt so viel zu lesen in der "New York Review of Books" und soviel davon formt unseren anspruchsvollsten gesellschaftlichen Dialog, dass es einschüchternd sein kann, damit Schritt zu halten“, schrieb der „Atlantic“. Die „New York Review of Books“ hat keine Redakteure, sondern vergibt Aufträge an Autoren - und nicht an irgendwelche. Bedeutende Schriftsteller wie John Updike, Margaret Atwood, Zadie Smith, Joseph Brodsky, Vladimir Nabokov, V.S. Naipaul und Susan Sontag haben schon beigetragen.
Der Mann hinter diesem „Phänomen der Medienwelt“ ist seit der ersten Ausgabe am 1. Februar 1963 derselbe: „Ich habe die Chance, eine neue Buchzeitschrift zu gründen“, sagte Robert B. Silvers Anfang der 60er Jahre zu seinem damaligen Chef bei der Zeitschrift „Harper's Bazaar“. Ein Streik der Drucker bei der „New York Times“, der Verlagen keinen Ort mehr für das Abdrucken ihrer Buch-Anzeigen ließ, hatte ihn gemeinsam mit einem Freund auf die Idee gebracht. „Wunderbar“, sagte Silvers' Chef. „Du wirst neue Erfahrungen machen und in einem Monat wieder hier sein.“ Seitdem hat der inzwischen mehr als 80 Jahre alte Silvers in seinen 50 Jahren als Herausgeber der „New York Review of Books“ mehr als 15 000 Essays redigiert.
„Wir sind eingetaucht, haben uns nachts zusammengesetzt und Bücher an all die Autoren geschickt, die wir am meisten bewundert haben“, erzählt Silvers, der die Zeitschrift lange Jahre gemeinsam mit Kollegin Barbara Epstein herausgab, bis die 2006 starb. „Sie wollten eigentlich alle innerhalb von drei Wochen ohne Bezahlung Besprechungen schreiben, um zu zeigen, wie ein neues Buchmagazin aussehen könnte.“ Tagsüber gingen Epstein und Silvers von Tür zu Tür und verkauften Anzeigen - mit Erfolg. Schon die erste Ausgabe hatte die selbe unpraktische Größe und das selbe dünne Papier wie heute - und das bislang einzige Vorwort: „Wir geben weder Zeit noch Platz an Bücher, die trivial in ihren Absichten oder käuflich in ihrem Einfluss sind.“
Fast jeden Text der Zeitschrift hat Silvers seitdem redigiert - Gerüchten zufolge hat er für Pausen zwischen der vielen Arbeit eine kleine Wohnung direkt über dem Büro. „Ich lese alles sehr genau und dann reagiere ich, Wort für Wort, Seite für Seite, Vorschlag für Vorschlag. Mit einem so wundervoll selbstsicheren Autor wie John Updike konnte man eigentlich nicht viel machen, außer seinen Text bewundern. Aber manch andere Autoren muss man einfach bitten, etwas deutlicher zu sein.“
Der Sprachfetischist Silvers lässt keine Ausreden, keine Flüchtigkeitsfehler und keine Ungenauigkeiten gelten. Buchbesprechungen hätten er und Kollegin Epstein so zur Kunstform gemacht, lobte die amerikanische „National Book Foundation“ jüngst. Möglich macht diese Arbeit und die Zeitschrift der US-Verleger und Fan Rea Haderman, der sie 1984 kaufte und seitdem - auch durch das Geld, das er mit anderen Zeitungen verdient - finanziert.
Mit einer Webseite, einem Blog und Podcasts hat die „New York Review of Books“ Zugeständnisse an den Wandel der Zeit gemacht, aber ansonsten solle sich eigentlich nichts ändern, sagte der 83 Jahre alte Herausgeber Silvers einmal. Sein Nachfolger? „Die Frage stellt sich nicht.“