Feuchtgebiete Pack die Badehose ein: Theater im Hallenbad

Stuttgart (dpa) - Die Bretter, die die Welt bedeuten, sind drei und einen Meter hoch - und noch dazu ziemlich schmal. Zu Beginn der Aufführung springt ein Junge aus drei Metern Höhe herunter. Platsch.

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War das jetzt ein Schauspieler?

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Im Theaterstück „Retrotopia“ in Stuttgart ist das nicht immer zweifelsfrei zu sagen - es spielt mitten in einem Hallenbad. Bei laufendem Badebetrieb. Auch sonst ist für das Publikum einiges anders: Statt in Abendrobe und auf Stühlen sitzen die Zuschauer am Beckenrand - in Badenanzug und Bademantel. Ein Schauspieler klettert irgendwann mit Ukulele auf das Sprungbrett.

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„Die Idee war, zu sagen: Wir warten nicht mehr, bis die Leute ins Theater kommen. Wir gehen dahin, wo das Leben ist“, sagt Schauspielerin Alexa Steinbrenner von „Lokstoff“ - einer Gruppe, die sich dem Schauspiel im öffentlichen Raum verschrieben hat. An diesem Abend steht Steinbrenner in Badeanzug und Badekappe vor dem Publikum.

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Die Zuschauer haben kaum mehr an. „Das sagen wir allen: Zieht euch so weit wie möglich aus“, erklärt Steinbrenner. Wer seine Theaterkarte abholt, bekommt einen grauen Bademantel und Einweg-Schlappen in die Hand gedrückt, dazu eine wasserfeste Kulturtasche. Dann: Ab in die Sammelumkleide, rein in den Badeanzug, Handy ausschalten.

„Ohne die schützenden Statussymbole unseres Alltags sind wir alle gleich“, heißt es in der Beschreibung des Stücks, das regelmäßig im Hallenbad Heslach gezeigt wird. „Nirgendwo begegnet sich der Mensch so nackt wie im Bad.“ Eine der Damentoiletten hat keine Tür. Mit dem gewohnten Theaterabend hat das nicht viel gemein. Eine Zuschauerin ist in Abendgarderobe mit Rock und Strumpfhose gekommen - kapituliert dann aber schnell angesichts der feucht-warmen Schwimmbadluft. Ab in den Bademantel. In diesem Theater sehen alle Zuschauer gleich aus.

Eines unterscheidet sie von den Schwimmern im Trainingsbecken aber doch: die großen Kopfhörer, über die der Ton eingespielt wird. Wer im Hintergrund seine Bahnen zieht, bekommt nämlich nicht viel mit von den Dialogen der Schauspieler. „Diese Akustik hat uns gestresst“, sagt Schauspielerin Steinbrenner über die Anfänge. Manchmal realisierten Badegäste nicht, dass es sich um ein Theaterstück handele - und liefen durch die Szene. So mancher Schwimmer verweilt auch ab und zu am Beckenrand, um das Schauspiel zu beobachten.

Die Darsteller passen sich der Kulisse nahezu täuschend echt an - wenn auch etwas überzeichnet. Es gibt einen Bademeister, der moderierend und interagierend durch das Stück führt. Die Schauspieler selbst verkörpern Badegäste - und sind zugleich Abbild unserer Gesellschaft. Da ist der Selbstoptimierer, der im Bad sein Training durchzieht, ebenso wie die Karrierefrau, die vorrechnet, wie viel Geld sie pro Stunde verdient - und welche Summe ihr bei einem halbstündigen Telefonat mit ihrer Mutter durch die Lappen geht.

Mit ihrer stets roten Badekleidung in Kombination mit roten Badekappen heben sich die Schauspieler aber erkennbar von den normalen Schwimmern ab. Bemerkenswert: Trotz ihrer Verkabelung gehen sie immer wieder auch ins Wasser und ziehen ihre Bahnen.

„Ich fand es eine Super-Idee, das in dieser Location zu machen“, sagt Besucherin Andrea Remboldt über das Theater im Schwimmbad. „Ich finde es irgendwie abwechslungsreicher, kürzer, leichter und es ergeben sich so tolle Bilder.“ Das klassische Theater reize sie kaum noch. Und wie ist ein Theaterabend im Bademantel so? „Das ist schon irgendwie komisch, aber das vergisst man dann.“

Eine Zuschauerin aus Esslingen hat schon Erfahrungen mit Theater im öffentlichen Raum, wie sie sagt. Durch eine Aufführung von „Hamlet“ am Hauptbahnhof. „Es ist das Ungewöhnliche“, sagt sie über den Reiz. „Aber das klassische Theater hat auch seine Berechtigung.“

Immer häufiger ist Theater inzwischen dort zu finden, wo das Publikum ist. Das Staatstheater Stuttgart etwa fährt im Stück „Belgrader Hund“ mit den Zuschauern Auto, vorne sitzen zwei Schauspieler. „Die Grenzen zwischen Realität und Spiel, zwischen Schauspielern, Statisten und Zuschauern verschwimmen“, heißt es in der Beschreibung. „Und der eigentliche Held ist die Stadt selbst, durch die Sie fahren.“

In Freiburg zog das Theater vor einigen Jahren während Sanierungsarbeiten auf das Gelände einer Brauerei. „Alle Stücke werden so inszeniert, dass sie diesem Ort gerecht werden“, sagte eine Sprecherin damals. Statt Theaterstühlen gab es Bierbänke.

„Wir merken auch, dass Leute zu uns kommen, die vielleicht Hemmungen hätten, in das klassische Theater zu gehen“, sagt Steinbrenner von „Lokstoff“. „Es hat natürlich auch ein bisschen was von einem Event.“ Ideen für neue ungewöhnliche Locations gebe es genug. „Es wäre toll, vielleicht mal was bei Ikea zu spielen - über die Wohnungsknappheit.“