Tod nach der Geburt Sternenkindern - Die ersten Bilder sind die letzten
Düsseldorf · Wenn ein Kind bei der Geburt stirbt, wird Paula Janka Meisel benachrichtigt. Sie ist Fotografin und hält die wenigen Momente auf der Welt für die Eltern fest.
Wenn der Alarm auf Paula Janka Meisels Handy geht, dann bedeutet das, dass zwei Menschen irgendwo in der Nähe gerade einen der schlimmsten Momente ihres Lebens durchmachen. Dann ist ein Kind – ihr Kind – gestorben. Meisel packt dann ihre Tasche, nimmt die Foto-Ausrüstung mit, vielleicht noch eine hübsche Decke oder einen Strampler und macht sich auf den Weg ins Krankenhaus.
Die Fotografin aus Dortmund macht ehrenamtlich Aufnahmen von Sternenkindern. Das sind Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Sie ist Teil des Netzwerks „Dein Sternenkind“. Die Eltern selbst, Hebammen oder anderes Krankenhauspersonal können Kontakt aufnehmen, wenn sie solche Aufnahmen wünschen. Dann wird so schnell wie möglich ein Fotograf vermittelt.
„Diese Eltern sind in einer existenziellen Situation“, sagt Paula Janka Meisel. Damit gehe jedes Elternpaar anders um. Die einen fürchten sich, das tote Kind anzusehen, die anderen wollen es gar nicht aus der Hand geben. Meisel versucht, darauf zu reagieren, die Wünsche und Gefühle der Eltern stehen im Vordergrund. Wenn die Eltern einverstanden sind, berührt sie das kleine Wesen. Legt es vielleicht auf eine Decke, bringt es in eine schöne Position.
Dann wird fotografiert. Detailaufnahmen der Händchen und Füßchen, das Kind auf der Decke liegend, die Augen geschlossen, fast schlafend. Oder so wie bei Julian. In seine Decke gewickelt liegt er auf der Brust seiner Mutter, die ihn ansieht und schützend ihre Hand um ihn legt. Winzig die Ärmchen und Beinchen.
Julians Mutter Karolina Gorke war froh, als Paula Janka Meisel zu ihr ins Krankenhaus kam. Auch wenn der Tag ansonsten ganz furchtbar war. In der 22. Schwangerschaftswoche hatte die 25-Jährige plötzlich Schmerzen. Der Arzt beruhigte sie zunächst noch, doch dann im Laufe des Tages bekam sie starke Blutungen. Im Krankenhaus musste dann ein Notkaiserschnitt vorgenommen werden. Diese frühe Geburt überlebte Julian nicht. „Es war ein riesiger Schock. Wir haben damit überhaupt nicht gerechnet“, sagt sie. „Paula war sehr einfühlsam und sehr offen. Das hat in der Situation geholfen.“ Anfangs habe Gorke noch Angst gehabt, ihr Kind anzusehen. Dann habe sie sich aber doch getraut – und ist froh darüber.
Das stellt auch Jan Salzmann immer wieder fest. Er arbeitet für die Initative Regenbogen, die Eltern, die ein Kind verloren haben, Hilfe anbietet – durch Informationen und Trauerberatung. „Früher hat man Stillgeborene den Eltern oft nicht gezeigt und keine Erinnerungen geschaffen. Das hat sich gewandelt“, sagt er. Heute sei es weit verbreitet auch für diese Kinder eine Geburtsurkunde auszufüllen, Fußabdrücke zu nehmen und eben auch Fotos zu machen. Denn das sei wichtig für den Trauerprozess. „Der Verlust wird greifbarer. Die Eltern lernen so eher zu verstehen, was passiert ist.“ Die Fotos machen das gestorbene Kind zu einem Teil der Familie.
Manche Eltern sind noch nicht in der Lage, das Kind anzusehen
Wenn Paula Janka Meisel die Bilder gemacht hat, bearbeitet sie sie zu Hause gelegentlich noch nach. Aber: Sie will nie den Eindruck erwecken, dass es sich hier um ein lebendes Kind handelt. Dann werden sie auf Datenträgern gespeichert und meist auch entwickelt und dann den Eltern zugeschickt. Auch hier ist Behutsamkeit gefragt. „Manche Eltern sind noch nicht in der Lage, das Kind anzusehen. Die bewahren die Fotos auf, bis sie sich bereit fühlen“, sagt Meisel. Daher sei es wichtig, dass die Bilder mehrfach verpackt sind und den Eltern nicht einfach entgegenfallen, wenn sie den Briefumschlag öffnen.
Viele dieser Dinge sind von der Initiative genau vorbereitet. Alle hier arbeiten ehrenamtlich. Spenden werden zwar angenommen, es wird aber nicht ausdrücklich danach gefragt. „Vieles finanzieren wir, indem wir an sozialen Wettbewerben teilnehmen“, sagt Oliver Wendlandt, Sprecher der Organisation. Das Alarmsystem, mit dem die Fotografen benachrichtigt werden zum Beispiel, ist über so ein Preisgeld finanziert worden. In einem eigenen Forum werden Nachrichten ausgetauscht und die anstehenden Einsätze verwaltet. Die Deutschlandkarte ist dafür in eigene Alarmkreise eingeteilt, so dass ein Fotograf höchstens 200 Kilometer zum Einsatzort hat. Per Alarm werden die verfügbaren Fotografen informiert, wer Zeit hat, meldet sich und bekommt alle nötigen Informationen. Wo? Wann ist es geboren? Ist es das einzige Kind? Etwa 600 Fotografen sind in Deutschland im Einsatz – in NRW sind es etwa 60.
Paula Janka Meisel ist seit Anfang des Jahres dabei. Wie viele Einsätze sie schon hatte, zählt sie nicht. Etwa jede Woche ist sie einmal unterwegs. Dabei erlebt sie auch schöne Momente. „Es kommt vor, dass das Kind noch ein paar Stunden gelebt hat. Für die Eltern ist das sehr kostbar“, sagt Janka Meisel. Wenn das Gesehene zu belastend wird, schreibt sie gerne ins Forum der Initiative, tauscht sich mit den ehrenamtlichen Kollegen aus. Außerdem gibt es eine Supervisorin, die für die Organisation im Einsatz ist.
Bild steht im Wohnzimmer der Familie
Das Bild von Julian steht bei Familie Gorke im Wohnzimmer. „Das war für die ganze Familie wichtig“, sagt Karolina Gorke. Gerade ihre sechsjährige Tochter habe viel geweint und Schwierigkeiten gehabt, zu verstehen, was passiert ist. Julian gehört zur Familie – auch wenn es nur diese Fotos vom Tag seiner Geburt geben wird.