Supertalent
Köln (dpa) - Einmal hatte Dieter Bohlen während der jüngsten „Supertalent“-Staffel einen sehr lichten Moment: „Was soll denn das, Himmel, Arsch und Zwirn?“, brach es aus ihm heraus, als eine beleibte Berlinerin den nackten Oberkörper des vor ihr liegenden Ehegatten mit Unmengen von Spaghetti überschüttete, um diese anschließend abzuessen.
Die Antwort darauf lautet natürlich: Das soll der Quote dienen.
Doch die Quote schwächelt diesmal ein wenig beim RTL-„Supertalent“. Das zweite Halbfinale sahen am vergangenen Samstag knapp sechs Millionen Zuschauer, in der Vergangenheit wurden schon mal Spitzenwerte von über acht Millionen erreicht. Vielleicht setzt doch langsam ein Gewöhnungseffekt ein. All diese Schluck-, Blas-, Furz- und Knot-Künstler, die sich dem Publikum andienen - irgendwie hat man sie in ähnlicher Form schon mal gesehen und muss dementsprechend mit Jurorin Sylvie van der Vaart (33) feststellen: „Ein neues Tiefpunkt!“
Die Sendung baut nach wie vor darauf auf, dass Nullen und Nichtskönner gnadenlos der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Hauptsache irgendwie prominent werden - das ist für viele das einzige Ziel, und RTL nutzt das aus. Bezeichnend war der Auftritt eines Jugendlichen: „Als erstes werde ich Tiere imitieren - ich weiß, das war schon mal.“ Nachdem er verschiedene Dinge ausprobiert hatte, aber alles nichts half, flehte er: „Ich habe mir solche Mühe damit gegeben - bitte, lieber Herr Bohlen! Dann komm ich auch nie mehr wieder zum "Supertalent".“
Dann gab es wieder jede Menge Kinder, die von ihren krankhaft ehrgeizigen Eltern auf die Bühne gedrängt werden, und daneben ein paar Freaks wie „Haut-Akrobat“ Gary Turner, der sich wegen einer angeborenen Bindegewebsschwäche selbst die Haut über die Ohren ziehen kann. Das fanden Sylvie und ihre Mit-Jurorin Motsi Mabuse (30) so faszinierend, dass sie ihm gleich selbst mal am Bauch zogen. „Enjoy yourself!“, lud der Engländer sie ein. Kommentar von Bohlen: „Talent ist eben ein dehnbarer Begriff.“
An diesem Samstag strebt der Ausleseprozess nun per Zuschauerabstimmung seinem Höhepunkt entgegen. Aus 42 000 Bewerbern sind zehn Finalteilnehmer hervorgegangen: die Sänger Mark Ashley (38) aus Bad Salzungen (Thüringen), Desire Capaldo (26) aus Rom, Julian Pecher (20) aus Fürth und Sven Müller (46) aus Möckmühl (Baden-Württemberg), der Krücken-Tänzer Dergin Tokmak (37) aus Augsburg, Breakdancer Miroslav Zilka (29) aus der Slowakei, die Pianisten Jörg Perreten (23) und Ricky Kam (5), beide aus der Schweiz, der Panflötenspieler Leo Rojas (27) aus Ecuador und der „Gummi-Mensch“ Oleksandr Yenivatov (37) aus Frankreich.
Besonders gehypt wird der bekennende Modern-Talking-Fan Mark Ashley, der jedes Mal in Tränen ausbricht, sobald er Meister Dieter nur gegenübertreten darf: „Wenn es einen Gott gibt, dann sitzt er dort. Ich könnte jetzt einfach sterben vor Glück.“ Bohlen ist umgekehrt aber auch von Mark angetan, weil der die alten Lieder seines Erachtens besser singt als Thomas Anders: „Es freut mich, dass es auf diesem Planeten einen Menschen gibt, der mich noch mehr liebt als das Finanzamt in Tötensen.“
Außerdem schlägt das Bohlen'sche Herz für den erwerbslosen Pianisten Jörg Perreten, der quasi aus der Gosse zum „Supertalent“ kam, um sich dort an seinem Irokesenkamm selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Nach seinem Halbfinalauftritt hielt Bohlen ein wahres Resozialisierungs-Plädoyer: „Du hast dein ganzes Leben vor dir, schmeiß das doch nicht weg für Scheiße. Das Leben muss doch 'n Sinn haben.“ Bohlen, der Werte-Vermittler. Welche Partei wählt der Mann eigentlich?
Im Hinblick auf das Finale steht eines schon im Vorhinein fest: Es wird wieder sehr viel geweint werden, denn das hat Tradition. Es geht ja letztlich um den Auftritt, der am meisten zu Herzen geht. Ein Auftritt, von dem Sylvie sagen kann: „Du lebst dein Trauma!“