Prozess Vier Jahrzehnte danach - Mutter bestreitet Kindsmord

Ein kleiner Junge kommt ums Leben. Es liegen Anhaltspunkte für ein Verbrechen vor, doch zum Prozess kommt es zu DDR-Zeiten nicht. Mehr als 40 Jahre später bringt eine anonyme Anzeige die Mutter vor Gericht.

Die Angeklagte Erna F. wartet am 27.04.2016 in Neuruppin (Brandenburg) im Gericht auf den Prozessbeginn.

Foto: Bernd Settnik

Neuruppin. Fast 42 Jahre nach dem Tod ihres kleinen Sohnes muss sich eine Frau wegen Mordes verantworten. Zu Prozessbeginn am Mittwoch bestritt die 74-Jährige vor dem Landgericht Neuruppin die Tat. Weitere Angaben will sie vor Gericht nicht machen, erklärte ihr Verteidiger.

Die Frau hat laut Anklage 1974 im brandenburgischen Schwedt ihren achtjährigen Sohn heimtückisch getötet. Sie soll den schlafenden Jungen nachts in die Küche getragen und dann in die Nähe des Gasherds gelegt haben, so dass der Junge Kohlenmonoxid eingeatmet habe. Danach soll sie das bewusstlose Kind zum Sterben in sein Bett gelegt haben.

„Die Angeklagte war mit dem verhaltensauffälligen Sohn überfordert. Er stand ihrer Lebensplanung im Wege“, erklärte Staatsanwältin Anette Bargenda. Zu DDR-Zeiten sei die heute 74-Jährige nie belangt worden.

Der Prozess geht auf eine anonyme Strafanzeige aus dem Jahr 2009 zurück. Sie sei bei der Staatsanwaltschaft Hannover eingegangen, weil die Frau damals in der niedersächsischen Landeshauptstadt lebte. „Auf der halben DIN-A4-Seite stand nur, dass Frau F. ihren eigenen Sohn Mario mit Gas ermordet hat“, erklärte Frank Schneider im Zeugenstand, Ermittler des Brandenburger Landeskriminalamtes (LKA). Die Behörde habe den Fall wegen der örtlichen Zuständigkeit übernommen.

Viel Brauchbares sei bei den Ermittlungen fast 42 Jahre nach der mutmaßlichen Tat nicht herausgekommen - auch weil viele Zeugen nicht mehr lebten. Belegt werden konnte nach Aussagen des Polizisten, dass die Angeklagte damals wechselnde Partner hatte. Ihre drei Kinder, zwei Mädchen und der Junge, stammten von unterschiedlichen Vätern.

Nach den Ermittlungen der Polizei ist Mario in der Nacht zum 5. November 1974 ums Leben gekommen. Auf Anweisung der Mutter schliefen die Mädchen, damals vier und zwölf Jahre alt, im Elternschlafzimmer. Der Junge musste allein im Kinderzimmer bleiben, sagte Schneider. Außerdem wies sie nach seinen Aussagen die Mädchen an, das Fenster zu öffnen. Das habe sie sonst nicht erlaubt. Am Morgen sei das tote Kind gefunden und ein Notarzt verständigt worden.

„Dem Notarzt kam die Auffindesituation merkwürdig vor. Der Junge war hellrosa verfärbt, was für eine Vergiftung gesprochen habe“, zitierte Schneider den Mediziner. Die Mutter habe erklärt, Mario sei nachts aufgestanden, habe am Herd herumgespielt und Kuchen genascht. Der Junge müsse sich irgendwie verschluckt haben, daran sei er gestorben.

Bei der Obduktion wurde in Marios Blut eine hohe Kohlenmonoxid-Konzentration festgestellt. „Eine Konzentration von 73 Prozent findet man nur, wenn man direkt an einer Gasquelle das Kohlenmonoxid einatmet“, zitierte der LKA-Ermittler den Gutachter.

Als merkwürdig bezeichnete der LKA-Beamte, dass die DDR-Behörden offenbar nicht gegen die Mutter vorgegangen seien. „Die Frau war zwei bis drei Tage bei der Polizei. Danach passierte nichts weiter.“ Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt. Unter anderem soll der Notarzt von damals vernommen werden.