Von wegen starkes Geschlecht: Die Krise des Mannes
Berlin (dpa) - Er steht unter Generalverdacht, schneidet in der Schule schlechter ab, stirbt früher und kann nicht einmal über seine Probleme vernünftig sprechen.
Mediziner, Psychotherapeuten und Soziologen sind alarmiert: Der Mann von heute steckt in der Krise. Die wahren Gewinner bei Gesundheit, Bildung und Identität seien die Frauen - aber sie tragen auch zur Misere des starken Geschlechts bei. Die Experten raten darum zur Flucht nach vorn: Männer, sprecht über eure Gefühle und Probleme.
Dass Männer zunehmend ins Hintertreffen geraten, lasse sich am deutlichsten mit Zahlen belegen, sagt der Männerexperte und Psychotherapeut Matthias Franz von der Uniklinik Düsseldorf. „Beim Thema Gesundheit sind wir Ärzte und Psychotherapeuten schon lange mit schwer kranken und früh versterbenden Männern konfrontiert.“
Es ist ernüchternd: Männer werden drei bis vier Mal häufiger vom frühen Herztod ereilt als Frauen, sie rauchen und trinken mehr, sind häufiger Gewalt- und Unfallopfer und Männer bringen sich drei Mal häufiger um als Frauen - so heißt es in Statistiken. Im Schnitt leben Frauen fünf Jahre länger. Ein Grund dafür: Sie reden selbstbewusster über Probleme und nehmen Hilfe selbstverständlicher in Anspruch. „Männer haben oft Angst, sich zu öffnen, Schwächen einzugestehen und Hilfe anzunehmen“, sagt Franz.
Oftmals gebe es eine verquere Form von Männlichkeit beim starken Geschlecht: Machogehabe, Muskeln oder Statussymbole seien nur Stellvertreter für Unsicherheit. Was echte Männlichkeit ausmache, sei vielen unklar. „Männer sind seit Jahrzehnten der feministisch inspirierten Kritik ausgesetzt, das hat sich gar bis zur Entwertung des Männlichen gesteigert“, sagt Franz.
Dies spiegele sich in Funk, Film und Fernsehen wider, wo der Mann zur überzeichneten Karikatur verkommen sei: Der Trottel, der eitle Gockel oder der Gewalttäter seien Stereotypen, die ständig auf der Leinwand zu sehen seien. „Wie soll man sich fühlen, wenn man immer nur als Problemfall gesehen wird?“
Der Soziologe Walter Hollstein beobachtet eine zunehmende Dämonisierung von Männlichkeit. Bestimmte Eigenschaften würden bei Männern negativ umgedeutet: Disziplin bedeute plötzlich einen Mangel an Spontaneität, Selbstständigkeit sei Angst vor Nähe und Aggressivität werde einem Hang zur Gewalt gleichgesetzt.
Schon im Kindergarten werde Männlichkeit zunehmend zum Problem stilisiert, sagt Männerforscher Hollstein. „Buben werden inzwischen diskret oder auch ganz offen umerzogen.“ Alles, was mit jungenhaftem Toben, Raufen und Kräftemessen zu tun habe, werde von den Erzieherinnen misstrauisch beäugt, verboten oder gar bestraft. Was fehle, seien männliche Erzieher. In dem Beruf arbeiten nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums bundesweit mehr als 362 000 Menschen, davon sind aber nur knapp 11 000 Männer.
Der Mangel hat längst die Pädagogen auf den Plan gebracht. Denn Studien zeigen: Männer sind die neuen Bildungsverlierer. Während immer mehr Mädchen die Schule mit Abitur und vor allem deutlich schneller abschließen, stellen Jungen an den Haupt- und Sonderschulen mittlerweile die Mehrheit - Tendenz jeweils steigend.
Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann nennt eine im Schulsystem verankerte Benachteiligung von Jungen als möglichen Grund: Anders als für Mädchen fehle oft die gezielten Förderung für Jungen. Zudem fehlten männliche Vorbilder, die den „Umgang mit Leistungsanforderung“ vorlebten - in der Schule wie Zuhause.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es in Deutschland 1,6 Millionen Alleinerziehende, 90 Prozent davon sind Frauen. Jungen wird eine „weibliche Erziehungsmacht“ entgegengestellt, sagen Psychologen. Es sei schwer für sie, ihr männliches Selbstwertgefühl zu entdecken. Das könne bis ins Erwachsenenalter Probleme bereiten. Spätestens wenn sie dann gleich mehrere Rollen einnehmen sollen: Don Juan, Frauenversteher, Versorger, Super-Papa und Held des Alltags.
Die Unterhaltungs- und Filmindustrie hat den „Vaterhunger“ längst erkannt. Hollywood macht mit Filmen wie „Little Nemo“ oder „Harry Potter“ Milliarden. Das Muster dahinter ist immer das gleiche: Vaterloser Junge muss im Kampf gegen böse Mächte selbst zum Mann reifen. Was auf der Leinwand so gut funktioniert, hat aber meist mit dem wirklichen Leben wenig zu tun.
Experten fordern ein entschiedeneres Vorgehen gegen die „Krise der Männer“. Zuletzt habe die dringend notwendige Frauenförderung im Fokus gestanden. „Jetzt ist es an der Zeit, dass man sich die Sorgen und Nöte des Mannes mal genauer vornimmt“, sagt Franz. Ein Anfang könne da sein: Einfach mal mehr über den Mann sprechen. Männerforscher Hollstein: „Unsere Rolle können wir am besten selbst verändern - weil wir uns selbst am besten kennen.“