Giacomettis dünne Figuren bringen ihren Raum mit
Wolfsburg (dpa) - 60 Skulpturen und 30 Gemälde - soviel Giacometti gab es in Deutschland lange nicht zu sehen. Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet dem Schweizer Künstler Alberto Giacometti (1901-1966) vom 20. November bis zum 6. März 2011 eine Retrospektive mit dem Namen „Der Ursprung des Raumes“.
Als ein Markenzeichen des Schweizers, der zu den bekanntesten Künstlern des 20. Jahrhunderts gehört, zählen seine dünnen Bronze-Skulpturen in allen Größen. Die stehenden, schreitenden und hockenden Figuren sind in Wolfsburg auf rund 2000 Quadratmetern in einer eigens entworfenen Raumarchitektur angeordnet.
Die meisten Exponate stammen aus der Fondation Alberto et Annette Giacometti in Paris, aber auch aus New York, Zürich und Venedig. Für Museumsdirektor Markus Brüderlin erfüllt sich mit der Ausstellung ein Wunsch: Bereits in den 90er Jahren hatte er sich im Baseler Beyeler-Museum, das über eine große Giacometti-Sammlung verfügt, mit dem Ausstellen der Skulpturen befasst. „Damals wuchs die Erkenntnis, dass wie bei keinem anderen Bildhauer diese geheimnisvollen Skulpturen ihren eigenen Raum mitbringen und einen eigenen Raum fordern“, sagte Brüderlin.
„Der Ursprung des Raumes ist die Skulptur selbst“, erläuterte er den Titel der Ausstellung. Und so ließ Brüderlin in dem frei gestaltbaren Wolfsburger Museum mit weißen Wänden lange Sichtachsen schaffen, Räume mit Fenstern für Durchblicke und auch ganz intime Räume, in denen nur ein Kunstwerk steht.
Gleich am Anfang der Ausstellung verdeutlicht der „Kleine Mann auf Sockel“ das Konzept. Die gerade mal 8,4 Zentimeter hohe Figur steht ganz allein in einem grellweiß ausgeleuchteten Raum. Nach Art des Lichtkünstlers James Turrell erscheint der Raum ohne Kanten und Ecken, ohne Anfang und Ende. Eigentlich müsste die kleine Figur verloren wirken. Doch gerade durch die Endlosigkeit des Raumes erhält das Kunstwerk von 1941/42 eine enorme Ausstrahlungskraft.
Auch einer der weltberühmten „L'Homme qui marche I“ (Schreitender Mann) ist in Wolfsburg zu sehen. Aus der Form des „Schreitenden Mannes“ wurden insgesamt 12 Bronze-Skulpturen gegossen, die alle als Originalwerke gelten. Eine der 1,80 Meter großen Figuren von 1960 erzielte im April einen Preis von 74 Millionen Euro. In Wolfsburg steht der „Schreitende“ gemeinsam mit anderen Großfiguren an einer Stelle des unterteilten Raumes, die wie ein zentraler Platz in einer Stadt wirkt.
„Giacometti war ein Besessener“, sagte Brüderlin. Verbissen habe er an einer Idee gearbeitet und dabei bewusst das Scheitern eingebaut. Für Brüderlin hat Giacometti das wichtigste und nachhaltigste bildhauerische Werk des 20. Jahrhunderts geschaffen. Wie begehrt seine Kunst ist, zeigen auch zahlreiche Fälschungen: „2009 wurden in Mainz mehr als tausend gefälschte Giacometti-Skulpturen sichergestellt“, erinnerte Brüderlin.