Grenzstadt Aachen: Ein mächtiges Erbe
Geistliche wie weltliche Pilger zieht es dieses Jahr nach Aachen. Eine Spurensuche zum 1200. Todestag von Karl dem Großen.
Düsseldorf. Nun ist der Mann schon eine ganze Weile tot, doch Ruhe findet er nicht — schon gar nicht, wenn ein Jubiläum ansteht. Vor 1200 Jahren, am 28. Januar 814, starb in Aachen Karl der Große, der mächtigste Herrscher seiner Zeit. Seine sofortige Beisetzung in der Pfalzkapelle, dem heutigen Dom, war ein cleverer Schachzug, über den man sich in der Stadt bis heute freut.
„Ohne die Gebeine von Karl, die im Dom liegen, gäbe es Aachen nicht“, erfährt man bei einer Stadtführung. Reliquien waren eben die Sehenswürdigkeiten vergangener Tage. Nur so konnte sich rund um den Pfalzbezirk mit dem Dom ein blühendes Gemeinwesen entwickeln.
Wer durch die Stadt spaziert und den steten Wechsel von Alt und Neu in der im Zweiten Weltkrieg großflächig zerstörten Stadt in Augenschein nimmt, der begegnet Karl auf Schritt und Tritt. Geschäfte und Schulen tragen seinen Namen. Im Rathaus, das auf dem Fundament der Königshalle des Herrschers steht, begrüßt eine Fußmatte mit Karls Antlitz den Besucher.
Den Krönungssaal schmücken Fresken aus dem 19. Jahrhundert, in denen sein Leben idealisiert wird, sowie die Reichskleinodien. In den Café-Stuben Van den Daele, einer Printenhochburg, wird ein Model (eine Form) mit Karl-Porträt gezeigt. So steht der Frankenkönig auch für diese Aachener Spezialität Modell, die fast so alt ist wie er selbst.
Dabei weiß man gar nicht genau, wie Karl ausgesehen hat. Die überlebensgroße Brunnenfigur vor dem Rathaus ist auch nur eine Annäherung. Wenn aber im Frühling 500 etwa ein Meter kleine rote und gelbe Karl-Figuren des Künstlers Ottmar Hörl im zwischen Dom und Rathaus gelegenen Katschhof, dem ehemaligen Innenhof der Pfalzanlage, aufmarschieren, dann haben diese kaum etwas mit dem Original gemein. Der Kaiser hatte die Größe, die seiner Macht entsprach: mindestens 1,90 Meter. Ein Riese in der damaligen Zeit.
Mehr als ein Werbe-Gag ist dagegen die Eröffnung des Centre Charlemagne, des Informations- und Ausstellungszentrums am Katschhof. Dort wird ab Juni eine der drei parallel laufenden Ausstellungen des Karls-Jahres zu sehen sein.
Die Ausstellungen (auch in der Domschatzkammer und im Krönungssaal) widmen sich dem Wirken Karls, dem höfischen Leben sowie der Kultur und sollen den Herrscher über ein Reich, das sich von der Elbe bis zum Ebro erstreckte, auch als Ahnherrn der europäischen Einigung sichtbar machen.
Aachen, das an den Grenzen zu Belgien und den Niederlanden und am Schnittpunkt dreier Sprachen liegt, versteht sich schon lange als Europastadt. Zahlreiche grenzüberschreitende Kooperationen unterstreichen dies. Seit 1950 wird alljährlich der Internationale Karlspreis für besondere Verdienste um die Einigung Europas verliehen.
Aber warum war Karls Wahl überhaupt auf diesen Ort gefallen, der seine Lieblingspfalz werden sollte? Die heißen Quellen, die wärmsten nördlich der Alpen, die schon Kelten und Römer geschätzt hatten, gaben den Ausschlag. Ihr Wasser tat dem Herrscher gut und war vielleicht sogar das Geheimnis seines für die damalige Zeit ungewöhnlich langen Lebens von 66 Jahren.
Den Besuchern der Stadt steigt rund um den von Karl Friedrich Schinkel erbauten Elisenbrunnen ein fauliger Geruch in die Nase: schwefelhaltiges Thermalwasser, das einst den ausgezeichneten Ruf Aachens als Kurort begründete. Heute heißt der Trend in den Carolus Thermen: Wellness statt Kur.
Auch die Reliquien erfüllen immer noch ihren Zweck. Neben den Gebeinen Karls des Großen werden in der Chorhalle des Doms, deren Fertigstellung sich 2014 zum 600. Mal jährt, noch weitere Reliquien aufbewahrt: die Windeln Jesu, das Lendentuch Christi, das Kleid Marias sowie das Enthauptungstuch Johannes des Täufers. Alle sieben Jahre werden sie im Juni im Rahmen der zehntägigen „Heiligtumsfahrt“ der Öffentlichkeit präsentiert. In diesem Jahr ist es wieder so weit.
Auf nach Aachen heißt es 2014 — für geistliche wie für weltliche Pilger. Die Besucher werden sich im Dom, in dem ab dem Jahr 936 für sechs Jahrhunderte die deutschen Könige gekrönt wurden, von der Raumwirkung der mehrgeschossigen achteckigen Pfalzkapelle beeindrucken lassen. Und wer danach die Domschatzkammer besucht, wird Albrecht Dürer beipflichten: „Da hab ich gesehen alle herrliche Köstlichkeit, desgleichen Keiner, der bei uns lebt, köstlicher Ding je gesehen hat.“
In den Altstadt-Sträßchen aber mit ihren Cafés und Läden, da kann einem der große Karl auch mal verlustig gehen. Doch halt. Lässt sich nicht selbst das studentische Aachen auf den Herrscher zurückführen? Schließlich scharte schon Karl die Gelehrten um sich, getreu seiner Devise: „Zuerst kommt das Wissen, dann das Tun.“