Grüner wird’s nicht: US-Gemeinde Arcata erlaubt weiche Drogen
USA: Im Wohnzimmer gedeiht Cannabis, Fast-Food-Ketten sind verboten: Jetzt schickt Obama seine Drogenfahnder in die Öko-Hochburg Arcata.
Arcata. Wenn eine Bürgermeisterin barfuß durch die Straßen läuft, muss eine wichtige politische Entscheidung anstehen. „Es hilft mir beim Nachdenken“, sagt Susan Ornelas und hält an der Großbaustelle im Stadtzentrum inne. Die zweispurige Hauptstraße soll demnächst einem großen Fuß- und Radweg weichen. Dahinter, direkt neben dem genossenschaftlichen Öko-Supermarkt, entsteht parallel das neue Seniorenzentrum.
Doch dafür hat Ornelas an diesem Tag kaum Augen. Viel mehr treibt sie die Frage um, wie sie ihr Modell einer liberalen Stadt bewahren kann. „Denn das will uns ausgerechnet Präsident Obama kaputtmachen“, sagt sie bitter. Und dann, als könne sie es selbst kaum glauben, fügt sie leise hinzu: „Das hat nicht mal Bush versucht — und den haben wir hier alle gehasst.“
Mit Präsidenten hat man in der kalifornischen Kleinstadt Arcata schon seine Erfahrung. Im April 2003, als der Rest des Landes noch im Patriotismus schwelgte, stimmte der Stadtrat gegen den Patriot Act — jene Gesetzessammlung, die den Bundesbehörden die Überwachung der Bürger massiv erleichtert. „Wir haben damals beschlossen, keine Daten unserer Einwohner herauszugeben“, sagt Susan Ornelas trotzig, „aber Bush war wohl mehr am Öl im Irak als an uns interessiert.“
Anders die aktuelle demokratische Regierung unter Obama: Die kann sich mit dem allzu liberalen Lebensstil der 17.000-Einwohner-Gemeinde offenbar nicht anfreunden. Gemeint sind nicht die strikte Mülltrennung oder das Verbot von Fast-Food-Ketten in der Innenstadt. Vielmehr hat man es auf die lässige Handhabe von Marihuana abgesehen. Das kann jeder, der ein ärztliches Rezept vorlegen kann, in einer „Apotheke“ legal kaufen.
Dass in jedem zweiten Privathaushalt die Pflanzen gedeihen, liegt rechtlich schon eher in einer Grauzone. „Jeder weiß, dass das hier so ist, aber die Polizei schreitet nicht ein, solange man das Zeug ausschließlich für den Eigengebrauch und nicht zum Weiterverkauf verwendet“, sagt die Bürgermeisterin. Genau das befürchten aber offenbar die Bundesbehörden, weshalb sie die Stadt nun offiziell zum Umdenken aufgefordert hat — bei Androhung rechtlicher Schritte.
Es sind jedoch längst nicht nur Drogen, die zum liberalen Lebensstil des Städtchens gehören. 1850 als Holzfällercamp gegründet, entwickelte sich Arcata durch seine Universität im vergangenen Jahrhundert zu einer wahren Hippie-Bastion. Lange Bärte und selbst gemachte Fair-Trade-Klamotten auf Hanf-Basis sind noch heute keine Ausnahme, sondern eher die Regel. An vielen Autos kleben Aufkleber, die zur religiösen Toleranz und zur vegetarischen Lebensweise auffordern.
Auf dem Marktplatz sonnen sich Jugendliche und kichern über die neusten Meldungen der Lokalzeitung: Am Wochenende hat eine barbusige Frau unter den Augen der Polizei einen Hula-Hoop-Tanz aufgeführt — im prüden Amerika eigentlich undenkbar. Bei einem Mann, der sich selbst in der Notaufnahme noch einen Joint ansteckte, waren die Beamten offenbar weniger gnädig.
Im benachbarten Klamottenladen sucht Matt Brenner derweil eine Handtasche für seine Freundin. „Das Modell aus wiederverwerteten Autoreifen wird ihr bestimmt gefallen“, meint der 21-jährige Öko-Farmer, der erst vor einigen Jahren nach Arcata gezogen ist — der Umwelt zuliebe. „Diese Naturverbundenheit gibt es sonst nirgendwo, auch wenn man uns in Texas wahrscheinlich für totale Spinner hält.“
Die Mischung aus Hippie-Flair und Umweltbewusstsein will sich die Stadt nun zunutze machen, um vermehrt Öko-Touristen anzulocken. „Wir sind auch schon relativ bekannt“, meint Alicia Hamann, die im lokalen Visitor Center arbeitet. „Allerdings eher durch Youtube-Videos, die uns als verrücktes Hippie-Paradies darstellen.“ Mit gezielten Informationen über die Natur- und Umweltprojekte wolle man nun gegensteuern.
Auch wenn ein geplantes Öko-Hostel bisher nur auf dem Papier existiert, erleben Reisende schon jetzt einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen mag. Selbst in den Motel-Ketten am Stadtrand wird der Müll der Gäste sorgsam getrennt, um hinterher der ortsansässigen Recyclinganlage zugeführt zu werden. Hinweisschilder fordern nicht nur zum Wasser-, sondern auch zum Energiesparen auf. Diejenigen, denen schon das zu viel ist, können bei McDonald’s Zuflucht finden: Das Fast-Food-Restaurant am Stadtrand genießt Bestandsschutz, weil es schon vor dem Kettenverbot errichtet worden ist.
Doch selbst in den Außenbezirken weht bald ein anderer, ökologischer Wind. Längst ist ein Einkaufszentrum mit lokalen Geschäften in Planung, das die Industriegebiete für Fußgänger attraktiver machen soll. Dann können selbst Motel-Gäste, die nur auf der Durchreise sind, einen veganen Tofu-Burger oder einen Soja-Milchshake in Arcata abstauben.
So radikal die Ideen in den Augen vieler Amerikaner klingen mögen — einigen gehen sie noch nicht weit genug. So auch Tourismus-Mitarbeiterin Alicia Hamann, die sich ein schnelleres Tempo bei der Umsetzung der zahlreichen Vorhaben wünscht: „Die Verantwortlichen bei der Stadt ruhen sich auf ihrem grünen Image ein bisschen aus. Oder warum ist das Plastiktütenverbot immer noch nicht durchgesetzt?“
Wenn Bürgermeisterin Susan Ornelas solche Aussagen hört, muss sie schmunzeln. „Ich war selbst mal so“, sagt sie, „schließlich kam ich vor 25 Jahren mit nichts außer einem Rucksack und hundert Dollar hierher, um einen Bio-Bauernhof aufzumachen.“ Radikaler habe sie damals gedacht, so wie der restliche Stadtrat auch. Inzwischen sei man erwachsener geworden, diplomatischer.
„Man kann nicht alle Ideen sofort umsetzten“, sagt Ornelas, während ihre Fußsohlen durch den Baustellendreck immer schwärzer werden. „Wichtig ist jetzt erst mal, dass mehr Touristen zu uns kommen — und nicht die Drogenfahnder der US-Behörden.“