Buch Hardy Krüger: „Ich wurde dazu erzogen, Hitler zu lieben“
In dem Buch „Was das Leben sich erlaubt“ erzählt der Schauspieler Hardy Krüger über seine Jugend in der Nazi-Zeit und seine Wandlung zum Regimegegner.
Aachen/Los Angeles. Generationen kennen Hardy Krüger als gefeierten Hollywoodstar, als Buchautor und als Mann, der die Welt bereist. Doch es gibt auch ein dunkles Kapitel im Leben des mittlerweile 88-Jährigen: Seine Jugend, in der er dazu erzogen wurde, „Adolf Hitler zu lieben“ — und das auch tat. In seinem Buch „Was das Leben sich erlaubt — mein Deutschland und ich“ erzählt Krüger von seiner Zeit im Nazi-Deutschland der 30er und 40er Jahre, seiner Wandlung vom Hitler- Eliteschüler zum Regimegegner, seinem Einsatz an der Front und seiner anschließenden Flucht. Krügers Botschaft darin ist eindeutig: „Schweigt nicht zu den verbrecherischen Thesen von gefährlich Rechts und ganz weit Links.“
Im Interview spricht Krüger, dessen Buch aktuell auf Platz zwölf der „Spiegel“-Bestsellerliste steht, über seine schmerzvolle Umerziehung, bezieht Stellung zu Donald Trump und erzählt, wie Helmut Schmidt einst für ihn Autogramme schrieb.
Herr Krüger, wie geht es Ihnen?
Hardy Krüger: Wunderbar. Letztes Jahr habe ich ja dieses Buch geschrieben, über das wir uns jetzt unterhalten werden. Damit war ich zehn Monate beschäftigt, weil ich ein langsamer Schreiber bin. Nachdem das Buch kurz vor der Frankfurter Buchmesse rausgekommen ist, habe ich wochenlang mit deutschen Journalisten in Hamburg gesprochen, und davon erhole ich mich jetzt ein bisschen.
Mit dem nächsten Interview . . .
Krüger: (lacht) Ja, aber ich mache das sehr gerne. Sie haben vielleicht beim Lesen des Buches gemerkt, wie sehr es mir am Herzen liegt, dass wir Deutsche solche rechtspopulistischen Parteien, wie zum Beispiel die AfD, aus den Parlamenten rauswählen und wir unsere Politikverdrossenheit endlich ablegen. Wir Demokraten sind verantwortlich für unser Schicksal. Mir liegt viel daran, das vor allem den jungen Menschen in unserem Land zu sagen. Denn ich möchte auf gar keinen Fall, dass sich für sie das wiederholt, was ich habe durchleben müssen in der Nazi-Zeit.
Sie gehen deshalb seit Jahrzehnten in Schulen, um von ihrer Jugend im Nazi-Regime zu berichten und aufzuklären.
Krüger: Ich erinnere mich noch an die erste Schule, in die ich gegangen bin. Die Schüler kannten mich nicht, hatten noch nie von mir gehört. Aber als ich ihnen meine Geschichte erzählte, haben sie schweigend zugehört. Das liegt daran, weil die Schüler von ihren Lehrern und Eltern noch nie so ausführlich von der Nazi-Zeit gehört haben. Ihnen davon zu erzählen, das macht mir eine große Freude.
Sie sind als Nazi erzogen worden. Ihre Eltern haben Adolf Hitler als Retter der Nation gefeiert, relativ lange, wie ich meine . . .
Krüger: . . . bis zum Ende Ihres Lebens eigentlich. Also meine Mutter nicht. Sie hat nach dem Krieg verstanden, was falsch gelaufen ist und dass man mir die falsche Erziehung hat angedeihen lassen. Sie hat sich schuldig gefühlt. Mein Vater wurde als Parteigenosse Hitlers von den Sowjets verhaftet und ist in einem Lager umgekommen. Ich habe mit ihm nie wieder über das Thema sprechen können.
Ihre Eltern haben Sie schon mit etwa fünf Jahren in die Uniform des Deutschen Jungvolks gesteckt. Eigentlich bekam man die erst mit zehn Jahren angezogen. Mit zwölf sind Sie für eine von Hitlers Kaderschmieden, der NS-Ordensburg Sonthofen im Allgäu, ausgewählt worden. Als Sie mit 15 vom Ufa-Regisseur Alfred Weidenmann als Darsteller für den Film „Junge Adler“ ausgewählt wurden, hat sich Ihr Leben grundlegend geändert.
Krüger: Das alles war zunächst sehr schmerzlich. Ich bin ja umerzogen worden. Der berühmte Ufa-Schauspieler Hans Söhnker, den ich damals in Babelsberg kennenlernte, hat den Mut gehabt, einem Adolf-Hitler- Schüler zu sagen: „Dein Führer ist ein Verbrecher.“ Es hat sehr lange gedauert, bis ich mich gefragt habe: Wem glaubst du denn eigentlich? Deinen Eltern, mit einer Hitler- Büste auf dem Klavier, den Lehrern mit den Hitler-Bildern in den Klassenzimmern, den Erziehern auf der Ordensburg, oder glaubst du dem Söhnker?
Doch Sie hatten schon vorher Ihre Zweifel. Das war bei den Olympischen Sommerspielen 1936. Sie waren mit ihrem Vater im Stadion und haben dem farbigen Leichtathleten Jesse Owens zugejubelt, der vier Goldmedaillen gewonnen hat. Was passierte damals?
Krüger: Ich war dazu erzogen worden, Hitler zu lieben. Aber ich habe nicht verstanden, dass er Jesse Owens nicht die Goldmedaille gegeben hat. Mein Vater hat sowohl bei den Olympischen Spielen als auch bei der Reichskristallnacht meine Fragen nicht beantwortet. Das hat dann später eine große Rolle gespielt, als ich mich gefragt habe, wem ich glaube.
Mit 15 Jahren wurde ihr Weltbild zerstört. Und doch mussten Sie nach Ende des Filmdrehs wieder zurück in die Ordensburg und den braven Hitler-Schüler mimen.
Krüger: Söhnker, den ich geliebt habe wie einen Vater, hat mir die Augen geöffnet: Das hat dazu geführt, dass ich mit 15 schon von Bergen-Belsen wusste und von Dachau und dem verlorenen Krieg. Söhnker hat mich als Kurier für die jüdischen Mitbürger eingesetzt, die er in die Schweiz geschafft hat. Das heißt also: Von da an habe ich ein Doppelleben führen müssen. Ich konnte auch meinen Eltern nicht von Söhnker erzählen und nichts über das, was ich gelernt habe. Sie haben nie davon erfahren.
Und es kam noch schlimmer: 1945 kam der Marschbefehl. Sie und Ihre Mitschüler machten sich auf den Weg in den Schwarzwald. Am Donauufer stießen Sie auf die Amerikaner. Sie hatten den Befehl zu schießen.
Krüger: Ich musste mich an der Front so benehmen, als würde ich auf die Amerikaner schießen, obwohl ich immer daneben geschossen habe. Am Lauf meiner Maschinenpistole lief ein schwarzes Gesicht nach dem anderen vorbei, und da hab ich an Jesse Owens denken müssen. Das ist eine so schwierige Zeit gewesen. Durch Söhnker habe ich gewusst, dass die Amerikaner und Engländer uns bombardierten, weil sie uns von den Nazis befreien wollten. Es waren also meine Freunde, die uns Bomben auf den Kopf geschmissen haben.
Sie sind von der Front desertiert, haben den Krieg überlebt, sind als Schauspieler international berühmt geworden. Heute leben Sie in Hamburg und den USA. Was sagen Sie zu Donald Trump als neuem US-Präsidenten?
Krüger: Das ist entsetzlich. Wir sind hier eine schweigende Mehrheit, meine Kollegen und ich in Hollywood, und auch meine Frau, die Amerikanerin ist. Wir warten ab, was dieser grässliche Trump jetzt macht. In einem Satz bringt er mit Leichtigkeit drei Lügen unter. Wie das gut gehen soll, das weiß ich nicht. Wir sind alle sehr besorgt.
Dieser Tage werden immer neue Namen für Trumps Kabinett bekannt. Was halten Sie von denen?
Krüger: Die Männer, die Trump sich für sein Kabinett als Minister ausgesucht hat, sind alles Menschen, die noch nie eine politische Entscheidung haben treffen müssen. Es sind allesamt Geschäftsleute. Das kann nicht gut gehen. Als ich davon gelesen habe, habe ich an Helmut Schmidt denken müssen.
Was hat Helmut Schmidt mit Donald Trump zu tun?
Krüger: Helmut Schmidt und ich sind bis an sein Lebensende sehr eng befreundet gewesen. Einmal, als die Sozialdemokraten Schwierigkeiten hatten, Politiker in den eigenen Reihen zu finden, die die Wahl gewinnen können, habe ich zu Helmut gesagt: Warum nehmt ihr nicht Fachleute? Da hat er gesagt: Es ist absoluter Blödsinn, daran überhaupt nur zu denken. Als Politiker muss man die Geschicklichkeit besitzen, Kompromisse zu erreichen, das kann man nicht Fachleuten überlassen. Und genau das macht jetzt dieser Trump hier, weil ihm keiner sagt, dass das Unsinn ist.
Sie beschreiben am Ende Ihres Buches, wie Sie Helmut Schmidt kennengelernt haben. Willy Brandt war Kanzler. Dessen Frau, Rut Brandt, hatte sich gewünscht, dass Sie zu einem Gartenfest in Bonn eingeladen werden. Sie kamen mit viel Verspätung an. Rut Brandt hat den ganzen Abend nach Ihnen gefragt und Ihren Tischnachbarn Helmut Schmidt — damals Verteidigungsminister — damit fast in den Wahnsinn getrieben. Er nahm es mit Humor und hat an Ihrer Stelle Autogramme geschrieben — allerdings als Hardy Schmidt. Was passierte dann?
Krüger: Nachdem Rut mir erzählt hatte, wer da mit Hardy Schmidt unterschrieben hatte, bin ich zu Helmut gegangen. Er saß mit Loki alleine am Tisch. Er sagte zu mir: „Also bitte nichts für ungut.“ Und ich antwortete: „So ein Quatsch, ich habe mich kaputtgelacht.“ Er hat sich gefreut, dass ich es mit Humor genommen habe, und dann haben wir bis zum Morgengrauen an dem Tisch gesessen und über Gott und die Welt gesprochen. Naja, weniger über Gott, mehr über die Welt. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Was haben Sie außer seinem Humor noch an ihm geschätzt?
Krüger: In meinen Augen war er der beste Bundeskanzler, den wir bis jetzt hatten. Und das ist jetzt nicht der Freund Hardy Krüger, der das sagt. Helmut Schmidt hat seine Arbeit in einer Art und Weise und mit einer Aufrichtigkeit gemacht, die andere Kanzler vor und nach ihm nicht hatten.