Prozess „Ich war doch vorher nicht kriminell“ - Mit Tod von Kindern gedroht

Der Mann ist in Geldnot. Er droht Eltern mit dem Tod ihrer Kinder und fordert 20 000 Euro. Niemand zahlt, den Kindern passiert nichts. Aber beim Prozess kommt bei den Opfern wieder alles hoch.

Der Angeklagte sitzt in einem Gerichtssaal im Justizzentrum in Aachen neben seinem Anwalt Peter Schäfer.

Foto: Ralf Roeger

Aachen. Aus dem Vater spricht noch heute die ganze Wut. Am 19. Januar öffnet er in seinem Betrieb die Post. Darunter ist auch ein Erpresserbrief. 20 000 Euro fordert der Schreiber, wasserdicht verpackt, ansonsten würde das Kind des Empfängers sterben. Mit dem Gedanken „Was für ein Idiot“ schmeißt der Vater eines heute 17-jährigen Jungen den Brief in den Papierkorb - fischt ihn aber fünf Minuten später wieder raus, wie er am Dienstag vor dem Aachener Landgericht schildert. Die Worte entfalten ihre ganze Wucht: „Sollten Sie die Polizei einschalten, ist das Leben Ihres Kindes verwirkt“, schreibt der Verfasser unter dem Namen Vitali Chenko.

Als sich der Vater am Dienstag in den Zeugenstand setzt, guckt er eine Weile in Richtung des Angeklagten, sieht aber nur dessen Rücken. Der 50-Jährige aus Eschweiler hat gestanden, von Mai 2016 bis März 2017 13 Erpresserbriefe mit Todesdrohungen gegen Kinder an Empfänger im Raum Aachen geschickt zu haben. Darin fordert er jeweils 20 000 Euro - abzulegen an einer Stelle in der Nähe einer Autobahn. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchte räuberische Erpressung in 13 Fällen vor.

Die persönlichen Eckdaten des Mannes, relativ unauffällig: Geschieden, zwei erwachsene Kinder, Kündigung nach 28 Jahren Beschäftigung bei ein und demselben Unternehmen, 100 000 Euro Abfindung. Mit dem Geld will er seinen Traum vom Leben in Italien verwirklichen. Aber in Rom findet er keine Arbeit. „Irgendwann war das Geld halbwegs verbraucht“, sagt er dem Richter. Wieder zuhause drücken die Schulden von der Eigentumswohnung, die er früher mit seiner Frau gekauft hat. Die Krankenversicherung schmeißt den säumigen Zahler raus, immer wieder kommt der Gerichtsvollzieher.

Er erinnert sich an ein scherzhaftes Gespräch mit einem Kumpel über Erpressung. Angeblich sucht der Angeklagte im Internet gezielt nach Ingenieuren in der Aachener Region als Opfer und nach Namen auf Internet-Seiten von Golf-Clubs. Er schickt Drohbriefe auch an Leute, die gar keine oder erwachsene Kinder haben. Hätte er den Kindern wirklich was angetan? „Um Gotteswillen nein“, sagt der Mann auf die Frage des Richters. „Was hätte ich schreiben sollen: Ich beschmeiß dich mit Wattebäuschen bis du blutest?“

Der Vater im Zeugenstand zahlt nicht. Der Mann spricht von schlaflosen Nächten, von marternden Gedanken: „Was einem da durch den Kopf geht, können Sie sich nicht vorstellen“, sagt er dem Richter: Der Sohn darf nicht mehr allein zur Schule. Die Eltern rufen tagsüber immer wieder sorgenvoll an. Hätte er die 20 000 Euro tatsächlich gezahlt, dann hätte er selbst auf ihn gewartet, sagt der Mann in seiner Wut.

Die Ermittler kommen dem Angeklagten mit einer Fotofalle auf die Spur, die sie am beschriebenen Ablageort installieren. Auf die veröffentlichten Bilder von dem mutmaßlichen Täter hin kommen viele Hinweise auf den Mann aus Eschweiler bei Aachen. Zunächst streitet der alles ab. Die Ermittler finden keine Fingerabdrücke auf den insgesamt 13 verschickten Briefen. Aber auf Briefmarken und Klebestreifen findet sich die DNA des Mannes.

Beim Präparieren der Briefe habe er Handschuhe getragen, sagt der Angeklagte. Der Vorsitzende Richter Jürgen Beneking: „Da kann man ja sagen, das war ja total doof. Da zieht er sich die Handschuhe an und leckt die Briefmarke ab.“ Er sei total aufgeregt gewesen, sagt der Angeklagte und es klingt fast entschuldigend: „Ich war doch vorher nicht kriminell. Ich wusste nicht, wie ich das machen sollte.“

Das Urteil wird für den 27. September erwartet.