Ihr letzter Wunsch ist ein Besuch im Zoo
Die Wünschewagen haben eine besondere Mission. Sie fahren Kranke kurz vor ihrem Tod an einen Ort ihrer Wahl. Oft geht es ans Meer, aber manchmal liegt das letzte Ziel auch ganz nah.
Gelsenkirchen. „Wir hatten einen Ausflug in den Zoo geplant, bevor es passiert ist“, erzählt Irmhild Bischof. „Es“ ist der Krebs. Zuerst im Darm festgestellt, dann in der Lunge, jetzt in den Knochen. Seit 2017 dreht sich im Leben von Irmhild und ihrem Mann Rainer alles um die Krankheit, seit Anfang Januar lebt die 64-Jährige in Gelsenkirchen im Hospiz. Der Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) aus Essen hat ihr jetzt den lange geplanten Zoobesuch ermöglicht — als letzten Wunsch.
Für eine Chemotherapie ist Irmhild Bischof zu schwach, der Weg ins Hospiz war Schock und Erleichterung zugleich. „Ich hab es mir schlimmer vorgestellt. Das Hospiz ist eigentlich schön. Und wenn ich klingel, kommt immer gleich jemand.“ Doch es ist noch mehr: Die Pflegerin hat ihr die Nägel dunkelrot lackiert und ihr von dem Wünschewagen erzählt. Die 64-Jährige soll sich so gut wie möglich fühlen und noch einmal etwas Schönes erleben. Ablenkung vom Alltag finden.
2014 startete im Ruhrgebiet der bundesweit erste Wünschewagen — aufwendig umgebaute oder neue Krankenwagen mit Panoramafenster, Sternenhimmel im Fahrzeug und besonders bequemer Liege. 16 Wünschewagen sind inzwischen in 14 Bundesländern für den ASB unterwegs. In NRW zwei, beide in Essen. Bundesweit 20 sollen es Ende des Jahres sein. Schon knapp 1000 ehrenamtliche Helfer unterstützen das Projekt — wegen des schlechten Gesundheitszustandes der Patienten sind sie im Hauptberuf in der Regel „vom Fach“, also Rettungsdienstler, Krankenschwestern, Altenpfleger oder Ärzte.
Der ASB ist nicht die einzige Organisation, die letzte Wünsche erfüllt. Ähnliche Angebote gibt es von den Maltesern unter dem Motto „Herzenswunschwagen“ und dem Deutschen Roten Kreuz, das mit der „Carpe-Diem-Initiative“ letzte Träume in die Realität umsetzt.
„Insgesamt wurden seit dem Start des Projektes vor vier Jahren mehr als 620 Wünsche erfüllt“, erklärt Susanne Hörle, Referentin beim ASB, für ihre Organisation. „Es ist traurig und auch wieder nicht. Es wird viel gelacht und es ist oft pure Freude. Man spürt, dass Leben da ist.“ Unheilbar Kranke werden noch einmal dahin gefahren, wo sie hin möchten. Viele zieht es ans Meer, andere zu einem Familienfest oder zu ihrer Lieblingsmannschaft ins Stadion. Irmhild Bischof wollte in den Zoo.
Susanne Hörle, Referentin beim ASB
Über vier Stunden hält sie bei eisigen Temperaturen aus. Lacht über die Affen, ist verwundert darüber, wie ein Gürteltier läuft, und genießt das Essen im Zoo-Restaurant. „Pommes mit Ketchup und Mayonnaise, paniertes Schnitzel mit Champignon-Sauce und Salat. „Ich kann gar nicht viel essen, eigentlich ist Essengehen mit mir Verschwendung.“
Irmhild Bischof wird von drei ehrenamtlichen Mitarbeitern des ASB umsorgt. Mal wird im Tropenhaus die beschlagene Brille freigeputzt, dann wird extra Mayonnaise geholt und vor den Tiergehegen wird der Rollstuhl auf den besten Platz geschoben. Sie bestimmt, wann es weitergeht und wo sie verweilen möchte. Ungewohnt für eine Frau, die nie im Mittelpunkt stand.
„Ich hatte nie Zeit. Ich hab immer malocht“, erzählt sie. Ihr Rainer kennt auch kein anderes Leben. Jahrelang hat er als Bergmann geschuftet, bis der Körper nicht mehr mitmachte. „Die Pumpe“, erklärt er. Erst sei sein Herzinfarkt gekommen und dann die Krebserkrankung seiner Frau. Jetzt ist er mit 58 Jahren schon lange Rentner.
Dem ehemaligen Kumpel fällt die ganze Situation schwer. Ins Hospiz geht er nicht gern, aber ein Leben ohne seine Irmhild kann er sich nicht vorstellen. Über den Tod redet er nicht. Irmhild ist da offensiver. „Es sind schon acht Leute gestorben, seit ich im Hospiz bin“, sagt sie. „Für jeden wird eine Kerze angezündet. Wenn ich die Kerze brennen sehe, denke ich immer, dass ich als Nächste dran bin.“ Angst hat sie auch. „Vor dem Ersticken, ich krieg so schlecht Luft.“
Dann scheint allein das Reden mit den Ehrenamtlern zu helfen. Sie hören zu, geben kleine Tipps und sind einfach da. Nach dem Essen hat sie wieder Kraft geschöpft, um eine zweite Runde im Park zu drehen. Früher sei sie viel mit dem Rad unterwegs gewesen. Zum Einkaufen, zur Arbeit — immer auf zwei Rädern. „Jetzt kann ich nichts mehr allein. Das macht unzufrieden.“ Da sei der Ausflug ein echter Lichtblick gewesen. Viele Wünsche habe sie ohnehin nicht mehr. „Eine Nacht ohne Schmerzen und ein wenig Unterhaltung am Tag, das wäre schön.“