Im leeren Flieger nach Mexiko
Grippe: Touristen erwarten auf dem Weg in den Urlaub das Schlimmste. Aber die Angst-Welle ist vorbei.
Mexiko-Stadt. Der Lufthansa-Mitarbeiterin am Check-in-Schalter am Frankfurter Flughafen entgleist für einen Augenblick ihr Berufslächeln. Die Antwort "Nach Mexiko-City" auf ihre Frage, wohin es denn gehe, lässt sie kurz zurückweichen. Einen Sekundenbruchteil später hat sie sich wieder gefangen und wünscht pflichtbewusst eine gute Reise. Es ist dieselbe Reaktion, die auch die Hausärztin gezeigt hat, als sie ein paar Tage zuvor nach dem Grippemittel Tamiflu gefragt wurde. Die Schweinegrippe hat Eindruck hinterlassen.
Am Flughafen dauert es keine zwei Minuten, bis der erste Passagier mit Mundschutz ins Blickfeld läuft. Es fällt auf, dass die Reisenden versuchen, möglichst viel Abstand zu Fremden zu halten. Die Schlangen an den Schaltern sind länger als gewöhnlich, weil nicht so dicht gedrängelt wird.
Noch weniger Gedränge ist am Gate, wo das Abfertigung für den Flug nach Mexiko beginnt. Jeder bekommt einen Schweinegrippen-Merkzettel in die Hand gedrückt, auf dem Symptome und Verhaltenstipps beschrieben sind. In der Maschine macht sich unter den Passagieren Verwunderung breit. Gerade einmal 45 Menschen verlieren sich in dem Jumbo, der eigentlich für mehr als 200 Fluggäste ausgelegt ist.
"Die letzten Flüge waren alle so schlecht gebucht. Aber die Maschine ist nun mal für die Strecke vorgesehen. Da können wir nichts machen", sagt die Stewardess auf die Nachfrage, ob sich die täglichen Mexiko-Flüge überhaupt noch rechnen. Die Passagiere nehmen es gelassen und machen sich quer über vier Sitze breit. Mehr Komfort dank Schweinegrippe. Niemand trägt einen Mundschutz.
Stunden später öffnen sich die Türen des Fliegers in der abendlichen Schwüle der 20-Millionen-Metropole Mexiko-Stadt. Die Hälfte der Reisenden streift einen Atemschutz über. Die Verkäuferinnen des Duty-Free-Shops haben sogar so etwas wie eine eigene Mode aus der Situation gemacht. Ihr Schutz baumelt lässig um den Hals. Sieht aus wie ein cooles Accessoire, schützt aber nicht wirklich. Von Pandemie-Panik keine Spur.
Vor der Gepäckausgabe stehen ein Soldat und ein Arzt der Gesundheitsbehörde hinter einer Wärmekamera. Sie überprüfen die Körpertemperatur der Ankommenden. Es wird niemand herausgewunken. Es geht weiter zum Inlandsterminal, der Reiseweg führt in die Grenzstadt zu den USA, Tijuana. Auch bei diesem Check-in muss jeder Reisende einen Fragebogen ausfüllen und sich von Wärmekameras auf Fieberspuren durchleuchten lassen. Nur eine junge Mexikanerin hat Pech. Sie scheint erhöhte Temperatur zu haben. Sie wird von Uniformierten herausgewunken und untersucht. Gefunden wird nichts.
"Nein, gar nichts. Wir hatten heute keinen einzigen Verdachtsfall am Flughafen", sagt die Medizinerin, als sich am Abend das Gate lehrt. Alles läuft absolut unaufgeregt.
Die Fluggäste, die auf den letzten Trip nach Tijuana warten, verbringen die Zeit so, wie man Wartezeit am Flughafen eben totschlägt. Die Kinder quengeln, Erwachsene versuchen, auf unbequemen Stühlen zu schlafen, ein Japaner macht Golf-Trockenübungen. Alle tragen Mundschutz. Auch die Besatzung des Aero-Mexicano-Flugs nach Tijuana.
Dort angekommen, streifen alle den Papierfetzen vom Gesicht. An der Grenze zu den USA, die nur fünf Minuten Fußweg von der Stadt entfernt sind, deutet nur ein kleines Zelt mit Grippe-Flugblättern darauf hin, dass sich die ganze Welt Sorgen um das Virus macht. Die Mexikaner lassen den Info-Stand aber links liegen. In der 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt gibt es andere Probleme.
Davon zeugen die schwerbewaffneten und vermummten Soldaten: Drogenkrieg, Prostitution und illegale Migration lassen kaum Platz für die Schweinegrippe. Der Taxifahrer fragt auf dem Weg zum Hotel nach der Herkunft. Als das Stichwort Mexiko-City fällt, winkt er ab und meint unter schallendem Gelächter: "Oje, da sind doch alle krank."
Im Hotelzimmer begrüßt eine mittelamerikanische Küchenschabe ihre Gäste. Schweinegrippe-Panik und Pandemie-Angst waren gestern. Willkommen in der mexikanischen Normalität.