Im Pferdestall ihrer Majestät
Zweimal im Jahr schaut die Queen in den Boxen selbst nach dem Rechten. Ansonsten regiert dort seit 1825 das höfische Zeremoniell.
London. Es ist ein unscheinbarer Torbogen aus Stein, an dem sich der Millionenverkehr der Metropole entlang quält. Wer ihn durchschreitet, tritt ein in eine Ära, in der Kutschen so viel galten wie heute ein Ferrari. Fast 200 Jahre lang ist in den "Royal Mews", den Hofstallungen des Buckingham Palastes, alles beim Alten geblieben. Auch im Jahr 2010 wird hier noch gestriegelt, gewiehert - und gewohnt.
Dicke Mauern dämpfen die Motorengeräusche von draußen. Im Hof des vielleicht feinsten Pferdestalls Europas schätzt man ein anderes Tempo, eine andere Art der Fortbewegung. Vier Beine, ein wohltemperiertes Gemüt und blaue Samtpolster kommen der Philosophie der "Royal Mews" am nahesten. Dies ist kein Museum, Besucher, die um den Nebeneingang des Palastes wissen, betreten vielmehr eine lebendige, arbeitende Abteilung des Königlichen Haushaltes.
Von Hand wird im Hof die Australische Staatskutsche verladen. Sie kommt vom Schloss Windsor, wo der Emir von Qatar die Königin besucht. Für die zehn "Windsor Greys", die liebsten Kutschpferde der Queen, ist dies eine wichtige "Dienstreise": Sie führen bei Staatsbesuchen wie diesem stets dekorativ die Parade an. Das ganze Jahr über ist der Terminkalender der königlichen Pferde dicht gedrängt. Im Frühjahr laufen sie in Ascot auf, im Herbst fahren sie zur Parlamentseröffnung zum Oberhaus - im Schlepptau die Queen, den Prinzgemahl, Pretitiosen oder, im langweiligen Fall, die Post, die täglich vom Palast zum St. James’s Square transportiert werden will.
38 Kutscher, Handwerker und Stallburschen leben direkt über den Stallungen - gewandet in rote, gold-beknöpfte Uniformen (siehe kleines Foto links), mitten in London, und doch losgelöst vom Takt der Stadt. "Die Pferde brauchen rund um die Uhr Aufmerksamkeit", sagt Sarah Goldsmith, Mitarbeiterin des Königlichen Haushaltes. Manche, wie der Restaurator Martin Oates, arbeiten schon in der vierten Familiengeneration für den PS-starken Fuhrpark. Am Tagesablauf des Teams hat sich seit dem Jahr 1825, als die "Mews" im Palastgarten den Betrieb aufnahmen, nichts geändert.
Zwischen Mistgabeln und Ledergeschirren verwalten die Stallmeister ein großes, historisches Erbe. Alle Kutschen des königlichen Haushaltes stehen in den "Royal Mews", darunter die Hochzeitskutsche von Diana und Charles. Und die "Golden State Coach", teuerste und berühmteste Kutsche der Welt, die in zwei Jahren ihren nächsten großen Auftritt hat. Acht Pferde werden das Prunkstück zum 60. Thronjubiläum der Königin ziehen.
Als Pferdenärrin lässt Elizabeth II. sich die persönliche Inspektion der Hofstallungen übrigens nicht entgehen: Zwei Mal im Jahr schaut sie höchstpersönlich nach dem Rechten.