Volkswirte geben keine Entwarnung Inflation in Deutschland steigt auf höchsten Wert seit 40 Jahren

Keine Entspannung bei der Inflation - im Gegenteil. Im April legt die Teuerungsrate weiter zu. Auf rasch sinkende Preise sollten Deutschlands Verbraucher nicht hoffen.

Die Inflation in Deutschland ist weiter angestiegen.

Foto: dpa/Marijan Murat

Rekordverdächtige Inflationsraten machen Deutschlands Verbrauchern weiterhin zu schaffen. Im April legte die Teuerungsrate überraschend sogar nochmals zu: Die Verbraucherpreise lagen um 7,4 Prozent über dem Wert des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Daten errechnet hat. Im März war die jährliche Teuerungsrate mit 7,3 Prozent bereits auf den höchsten Stand seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 geschnellt.

Volkswirte erwarten wegen der angespannten Lage bei den Energiepreisen und anhaltender Sorgen um einen russischen Lieferstopp nicht, dass die Inflation in den nächsten Monaten rasch sinken wird. Jüngste Prognosen rechnen für das Gesamtjahr 2022 mit mehr als sechs Prozent Teuerung in Deutschland. Im vergangenen Jahr hatten die Verbraucherpreise im Jahresschnitt um 3,1 Prozent zugelegt.

Trübe Aussichten also für Verbraucherinnen und Verbraucher, denn höhere Inflationsraten schmälern ihre Kaufkraft: Sie können sich für einen Euro weniger leisten. An Tankstellen, im Supermarkt und bei den Heizkosten mussten die Menschen zuletzt tiefer in den Geldbeutel greifen. Von März auf April 2022 erhöhte sich das Preisniveau den vorläufigen Zahlen vom Donnerstag zufolge um 0,8 Prozent.

In einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/ntv gaben zwei Drittel der 1000 Befragten an, sie spürten die Inflation im Alltag sehr stark (25 Prozent) oder stark (40 Prozent). 63 Prozent gaben an, aktuell nicht so viel Geld für Kraftstoffe ausgeben zu wollen. Auch beim Heizen und beim Stromverbrauch ist die Mehrheit (56 Prozent) bemüht, zu sparen. Die Bundesregierung schnürte zwei milliardenschwere Pakete, um die Menschen zum Beispiel bei den Energiekosten entlasten.

Vor allem stark gestiegene Energiepreise treiben seit Monaten die Inflation. Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar trieb die Öl- und Gaspreise weiter nach oben. Nach den vorläufigen Daten des Wiesbadener Bundesamtes mussten die Menschen in Deutschland im April 35,3 Prozent mehr für Haushaltsenergie und Kraftstoffe ausgeben als im Vorjahresmonat. Im März waren es sogar 39,5 Prozent mehr gewesen. Die Preise für Nahrungsmittel lagen im April um 8,5 Prozent über Vorjahresniveau, im März waren es noch 6,2 Prozent.

Ähnlich hohe Inflationsraten wie im März und April dieses Jahres gab es in den alten Bundesländern zuletzt im Herbst 1981, als infolge der Auswirkungen des Ersten Golfkrieges die Mineralölpreise ebenfalls deutlich geklettert waren. „Sagen wir es so: Die meisten Bürger und Politiker haben solche Inflationsraten in ihrem Berufsleben kaum je gesehen“, kommentierte ING-Deutschland-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Im Februar lag die Inflation in Deutschland noch bei 5,1 Prozent.

Auch im Euroraum treiben vor allem die Energiepreise die Teuerung nach oben. Im März stiegen die Verbraucherpreise im Währungsraum im Jahresvergleich um 7,4 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat errechnet hat. Das ist der höchste Stand seit Einführung des Euro als Verrechnungswährung im Jahr 1999. Im Februar des laufenden Jahres hatte die Inflationsrate im Euroraum noch 5,9 Prozent betragen.

Die hartnäckig hohe Inflation erhöht den Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB), ihren Kurs des billigen Geldes zu beenden und die Zinsen anzuheben. Im April lag der für die Geldpolitik maßgebliche harmonisierte Verbraucherpreisindex HVPI in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland um 7,8 Prozent über Vorjahresniveau.

Schon länger werfen Kritiker der EZB vor, mit ihrer Geldflut die Inflation anzuheizen. Oberstes Ziel der Notenbank sind stabile Preise bei zwei Prozent Teuerung. Mit einer Zinsanhebung könnte die EZB auf die hohe Inflation reagieren. „Wir haben ein ernstes Inflationsproblem“, mahnte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Es ist höchste Zeit, dass die EZB den Fuß vom Gas nimmt und ihre Leitzinsen erhöht.“ Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW bekräftigte: „An einem raschen Ende der Anleihenkäufe und einem baldigen ersten Zinsschritt führt kein Weg mehr vorbei.“

Mehrere Mitglieder des obersten Entscheidungsgremiums der Notenbank, des EZB-Rats, schlossen in jüngsten Äußerungen eine erste Zinserhöhung im Juli dieses Jahres nicht aus. „Der Auftrag der Europäischen Zentralbank ist die Preisstabilität“, bekräftigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Mittwoch in Hamburg. Um dies zu garantieren, habe die EZB beschlossen, ihre milliardenschweren Anleihenkäufe schneller auslaufen zu lassen - „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem frühen Zeitpunkt im dritten Quartal, wahrscheinlich im Juli“. Das sei dann der Zeitpunkt, „sich die Zinsen und eine Erhöhung dieser Zinsen anzuschauen“, sagte Lagarde.

An den Finanzmärkten wird erwartet, dass die EZB den Einlagensatz, zu dem Banken Geld bei ihr parken können, in diesem Jahr von minus 0,5 Prozent auf null Prozent anheben könnte. Der Leitzins im Euroraum, der seit mehr als sechs Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent liegt, könnte dann 2023 angehoben werden. Allerdings ist der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik angesichts hoher Inflation und gleichzeitig gestiegener Konjunktur-Risiken ein Balanceakt.

(dpa)