Interview: „Ich hoffe, dass Bayern verliert“
Daniel Cohn-Bendit wird in Frankreich Fußball-Kommentator. Der Frankfurt-Fan erklärt, warum er beim Blick auf Schalke ans Mittelalter denkt.
Herr Cohn-Bendit, von Ihnen ist der Satz überliefert: „Fußball war immer wichtig für mein ganzheitliches Wohlbefinden.“ Wie äußert sich das?
Cohn-Bendit: Ganz einfach, indem ich regelmäßig Fußball gucke. In Deutschland ziehe ich mir jedes Wochenende die Eintracht rein. Und so oft ich kann, schaue ich mir internationalen Fußball an. Ich hoffe immer, dass die Bayern verlieren. Das sind die emotionalen Stützpfeiler, die es mir erlauben, weiterhin Politik und andere Sachen zu machen.
Fußball gucken ist eine Sache, spielen Sie auch noch?
Cohn-Bendit: Im Moment leider nicht, ich hatte eine Hüftoperation und bin froh, dass ich Joggen und Radfahren kann. Als ich zuletzt auf dem Platz stand, spielte ich ohnehin mehr mit dem Mund als mit dem Fuß.
In Frankfurt haben wir 30 Jahre lang jeden Samstag gekickt: die Dunklen gegen die Hellen — zuerst am Ostpark, danach auf dem Platz neben der Bundesbank. Das war Urschrei-Therapie! Ich behaupte: Fußballspielen ersetzt die Couch.
In Frankfurt wohnten Sie mit Joschka Fischer in einer WG, haben Sie auch zusammen Fußball gespielt?
Cohn-Bendit: Klar, Joschka war im Ostpark immer dabei. Auch für ihn war Fußball Urschrei-Therapie. Einmal haben wir uns auf dem Platz sogar geschlagen.
Wie haben Sie als Kind den deutschen „Wir-sind-wieder-wer“-Sieg 1954 erlebt?
Cohn-Bendit: Ich saß in Frankreich vor dem Radio und habe geweint, denn ich hielt zu den Ungarn. Sie waren die ersten, die in Wembley gegen England gewannen: Die tollste Mannschaft der Welt, sie spielte Fußball ohne Wenn und Aber.
Deshalb fand ich’s völlig ungerecht, dass sie gegen die Deutschen verloren. Aber das ist ja das Faszinierende am Fußball. Er ist deshalb so spannend, weil nicht immer die Besseren gewinnen.
Ab Januar werden Sie im französischen Fernsehen Fußballspiele kommentieren. Ein bemerkenswerter Aufstieg: vom „roten Dany“ zum Quotenhit?
Cohn-Bendit: Der Fußball und ich haben eine Geschichte — auch eine mediale. Man darf nicht vergessen: Schon bei der Europameisterschaft 1984, als Frankreich den Titel holte, war ich Co-Kommentator für „Europe 1“.
Bei der letzten Weltmeisterschaft war ich ebenfalls ein gefragter Interviewpartner. Dass es ein Quotenhit wird, glaube ich nicht. Seit 40 Jahren wissen die Franzosen nicht so recht, wie sie mich einordnen sollen. Aber das macht mir nichts.
Werden die Deutschen 2014 Weltmeister?
Cohn-Bendit: Nur wenn sie Brasilien schlagen. Ich war neulich dort, weil ich einen WM-Film vorbereite. Für die Leute steht fest: Brasilien wird Weltmeister.
Es kann Deutschland so ergehen, wie den Ungarn 1954 und den Holländern 1974, die jeweils besser waren. Sicher hat auch Deutschland jetzt das Potenzial für den Titelgewinn, aber schön spielen reicht nicht. Man muss gewinnen.
Für welchen Verein schlägt Ihr Herz?
Cohn-Bendit: Ich bin Eintracht-Frankfurt-Fan, würde mich aber freuen, wenn Dortmund diesmal Meister wird. Die Mannschaft spielt einen schönen und dynamischen Fußball. International halte ich zu Arsenal und Barcelona, in Frankreich habe ich ein Problem: Es gibt einfach keine sympathische Mannschaft.
Haben Sie Mitleid mit den schwach gestarteten Schalkern?
Cohn-Bendit: Nicht die Spur. Unter Felix Magath herrscht in Schalke Mittelalter. Aber Mittelalter ist eigentlich vorbei, denn dank der Revolution in Frankreich haben sie den Absolutismus geköpft. Wer immer noch glaubt, er könne in der modernen Gesellschaft durch Absolutismus bestehen, begeht einen großen Irrtum.