Jürgen Flimm warnt vor „Eventkultur“

Berlin (dpa) - Im Streit um die Zukunft der Berliner Theaterlandschaft gerät der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller zunehmend unter Druck.

Jürgen Flimm warnt vor „Eventkultur“
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Nach mehreren führenden Theatermachern warnte am Mittwoch auch der Berliner Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm vor den Plänen Müllers und seines Staatssekretärs Tim Renner (beide SPD), die traditionsreiche Volksbühne in eine Art Festivalhaus umzuwandeln.

„Die Berliner Kulturverwaltung sollte gut beraten sein, sich zu besinnen“, schrieb Flimm im „Tagesspiegel“. „Es steht doch einiges auf dem Spiel - das kulturelle Renommee unserer Stadt, also Obacht.“ Varietés gebe es wahrlich bereits genug.

Wie Theaterkreise der Deutschen Presse-Agentur bestätigten, planen die Kulturverantwortlichen nicht nur, wie schon lange vermutet, den Londoner Museumsdirektor Chris Dercon (Tate Modern) zum Nachfolger von Volksbühnen-Intendant Frank Castorf (63) zu berufen. Zur Führung sollen auch Theaterexperten gehören. Im Gespräch ist zudem, Teile des früheren Flughafens Tempelhofs mit zu bespielen. Dafür soll der Etat des Theaters um 5 auf 22 Millionen Euro jährlich erhöht werden.

Zuvor hatte „Der Tagesspiegel“ (Mittwoch) über die Pläne berichtet. Die Kulturverwaltung wollte den Bericht nicht kommentieren. Laut „Berliner Zeitung“ will Renner sein Konzept spätestens bis zum 30. April, möglicherweise aber auch schon vorher vorstellen.

Müller, der neben seinem Regierungsamt auch die Verantwortung für das Kulturressort hat, äußerte sich unterdessen erstmals selbst zu dem seit Wochen laufenden Streit - allerdings nicht in der Sache. In der Zeitung „Die Welt“ (Mittwoch) warf er seinerseits dem Chef des Berliner Ensembles, Claus Peymann, ein „überraschend elitäres Kulturverständnis“ vor. Peymann hatte den Streit mit einem offenen Brief an Müller ausgelöst und unter anderem behauptet, der „Regierende“ sei erst vor wenigen Wochen erstmals in der Oper gewesen.

Grünen-Kulturexpertin Sabine Bangert sprach von einem „peinlichen Possentheater“. Alle Beteiligten seien gut beraten, zu einer sachlichen Debatte zurückzukehren. „Die Kulturverantwortlichen im Senat haben zu lange die Diskussion gescheut, wie die Berliner Theater zukunftsfähig und gewinnbringend für die Stadt aufgestellt werden können“, erklärte sie.

Vor wenigen Tagen hatten auch drei führende Theaterintendanten in einem offenen Brief an Renner vor der „Zerstörung“ der Volksbühne gewarnt. „Berlin braucht keinen Aufbruch in die Zukunft, der mit der Abrissbirne daherkommt“, hieß es in dem Schreiben der Intendanten Joachim Lux (Thalia Theater Hamburg), Ulrich Khuon (Deutsches Theater Berlin) und Martin Kusej (Residenztheater München).

Die Debatte sorgt für besonderes Aufsehen, weil die Volksbühne mit ihrem namhaften Ensemble als eines der profiliertesten Theater Deutschlands gilt. „Warum kann solch ein außerordentlicher Weg nicht fortgesetzt werden, wenn schon Castorf nicht bleiben soll?“, schrieb Flimm. „Und warum diese Tradition der Innovation, der Aufklärung und der atemlosen Experimente aufkündigen?“