Kanye West lässt das Monster los
Berlin (dpa) - Er ist mit Sicherheit das penetranteste Großmaul im Hip-Hop-Zirkus, Kanye West muss man nicht mögen, aber die Show, die dieser Mann immer wieder abzieht, ist nur die eine Seite dieses Typen.
Seine bislang vier Alben waren immer bemerkenswert, verkauften sich millionenfach, und jetzt hat der hippe Soundtüftler noch einen draufgesetzt.
Sein neues Album mit dem extravaganten Titel „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ überschreitet mit wuchtiger Opulenz die engen Genregrenzen des dahinsiechenden Hip-Hops. Bis hin zum ganz großen Pop. Und dies fast 80 Minuten lang. Auch wenn es Redundanzen gibt. Dieses größenwahnsinnige Album ist ein gefräßiges Monster, das den Hörer von den ersten Beats des hymnischen Openers „Dark Fantasy“ an nicht mehr los lässt.
Und die Gästeliste kann sich wirklich sehen lassen: Im großen West-Sound-Theater treten diesmal u.a. Rihanna, Jay-Z, John Legend, Pusha T, die Indie-Folker von Bon Iver und etliche Mitglieder des Wu-Tang Clan auf. Aber sie alle sind kein schmückendes Beiwerk, keine Goldkettchen im Portfolio des Super-Rappers, sondern werden sinnvoll in die mitunter orchestral ausufernden zwölf Tracks eingebaut.
Ein erstes Highlight ist sicherlich „Power“, Kanyes Wests bittere Bilanz und Abrechnung mit der „Obama Nation“, unterlegt mit einem afroamerikanischen Chor. Das fast neunminütige „Runaway“ transzendiert zur großen Sample-Oper, und in „Lost World“ wird der wehmütige Folkgesang von Bon Iver zum Auftakt eines Dancefloor- Stampfers, der dann im Finale die berühmte Rede „Who Will Survive America“ (1970) des Rap-Veteranen Gil Scott-Heron aufnimmt, der in diesem Jahr mit dem starken Album „I'm New Here“ sein Comeback feierte. Smarter, politischer Hip-Hop ist noch lange nicht tot, nicht solange er so klingt wie bei Kanye West.