Kate Bushs wundersame Winter-Lieder
Berlin (dpa) - Eine der faszinierendsten Sängerinnen der Pop-Geschichte ist wieder produktiv: Kate Bush veröffentlicht ihr zweites Album in diesem Jahr, diesmal mit durchweg neuen Songs. Sie sind gewohnt zauberhaft und sehr weit entfernt vom Mainstream - Musik für winterliche Tagträume.
Ein größerer Gegensatz zu den effektheischenden Pop-Granaten der Lady Gaga oder zum kalkulierten Sex'n'Soul einer Rihanna ist kaum denkbar. Kate Bush, seit 35 Jahren als selbstbestimmt-kreative Künstlerin ein bewundertes Vorbild im Musikgeschäft, hat ein neues Album herausgebracht, es ist erst ihr zehntes. Zu hauchzarten Arrangements zwischen Art-Rock, mildem Piano-Jazz und moderner Klassik feiert sie die Schönheit des Schnees und den Reiz winterlicher Stimmungen. Ganz weit weg vom Kommerz, ganz gewiss etwas spinnert - und ganz große Kunst.
„50 Words For Snow“ (EMI) besteht aus sieben ausufernden Songs, von denen der üppigste 13 Minuten dauert. Nachdem Kate Bush (53) in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder lange auf neues Material warten ließ, markiert 2011 offensichtlich die Rückkehr zur Produktivität: Im Frühjahr hatte die Britin auf „Director's Cut“ noch alte Stücke einer (gelungenen) Neuinterpretation unterzogen, nun überrascht sie mit rundum frischen Liedern, den ersten seit dem famosen 2005er Comeback „Aerial“.
Und was für raffinierte Lieder das wieder sind. Wohl nur eine Kate Bush konnte auf die Idee kommen, Zungenbrecher wie „shnamistoflopp'n“, „boomerangablanca“ oder „hironocrashka“ (drei der „50 Worte für Schnee“ des Titelsongs) von einem Schauspiel-Giganten wie Stephen Fry zu sanft groovender Musik rezitieren zu lassen. Bizarr auch die Traumgeschichte „Misty“, in der eine Frau nach einer Liebesnacht mit einem Schneemann allein erwacht - in einem pitschnassen Bett. Oder das winterspukige „Lake Tahoe“ mit zwei klassischen Liedsängern als Chor.
Noch mehrfach teilt Kate Bush, deren Stimme sich über die Jahre von jugendlicher Schrillheit zu einem wunderbar reifen, bluesigen Alt gewandelt hat, mit Gästen das Rampenlicht. So lässt ihr 13-jähriger Sohn Albert im Opener „Snowflake“ seine helle Stimme erklingen. Im Ewige-Liebe-Lied „Snowed In At Wheeler Street“ übernimmt Elton John den männlichen Part - und er macht seine Sache gut, auch wenn man gern noch einmal Peter Gabriel im Duett mit der nach wie vor bildschönen Kate gehört hätte wie einst im bewegenden „Don't Give Up“.
Die Studioband besteht aus alten Bush-Spezis wie Del Palmer (Bass), Dan McIntosh (Gitarre) und dem fabelhaften Jazz-Drummer Steve Gadd, hinzu kommen einige unaufdringliche Orchesterparts und natürlich Bushs sensibles Klavierspiel. Nach den Sound-Exzessen der 80er Jahre auf Meilenstein-Alben wie „The Dreaming“ oder „Hounds Of Love“ setzt die Songschreiberin ihren Weg in die Reduktion fort. Nur die Yeti-Fabel „Wildman“ grenzt mit wuchtiger Orgel an Rock-Bombast, im Gegensatz zu der kargen, anmutigen Piano-Ballade „Among Angels“ am Schluss.
Wie es sich für ein echtes Konzeptalbum gehört, hat hier jeder Song, jeder Text eine klare Verbindung zum Thema. „Ich hatte schon länger die Idee im Kopf, eine Art Winteralbum aufzunehmen“, erzählte Kate Bush dem „Musikexpress“. „Dass es explizit von Schnee handeln würde, kam erst später.“
Irgendwann sei das „richtig hektisch geworden“ mit der Veröffentlichung der Platte, schließlich könne man so ein Winteralbum nicht im Sommer herausbringen. Eine Punktlandung: „50 Words For Snow“ wird in der kalten Jahreszeit vielen Fans 65 kuschelig-warme Minuten bescheren und auch danach im Katalog dieser Künstlerin einen respektablen Platz einnehmen. Hits wie einst „Wuthering Heights“, „Babooshka“ oder „Running Up That Hill“ sucht man zwar vergeblich, aber hier geht es ja auch nur noch am Rande um Pop. Kate Bush - das ist die Anti-Gaga 2011.