Kiosk-Kultur in der Krise

Keiner möchte auf sein Büdchen an der Ecke verzichten. Doch viele Betreiber sehen sich gefährdet.

Düsseldorf. Helmut Pietschmann braucht nichts zu sagen, da bekommt er schon seine Zigarettenmarke in die Hand gedrückt. „65 Jahre und zehn Monate. Ich hab’ jetzt gelesen, dat is’ mein Rentenalter“, fängt der Rheinbahn-Mechaniker ein Gespräch an der Luke seines Stamm-Kiosks an.

Das kleine Häuschen im Düsseldorfer Stadtteil Benrath ist für den 55-Jährigen seit 1974 zwei Mal am Tag die wichtigste Anlaufstelle für seine Zigaretten. Ein Gespräch gibt’s gratis dazu.

Pietschmann ist der lebende Beweis für die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie der Wiesbadener EBS Business School, die sich mit der deutschen Kiosk-Kultur auseinandergesetzt hat. Das Ergebnis der Befragung: „Kioske haben eine erhebliche soziale Funktion“, erklärt die Studien-Leiterin Sabine Möller.

So fanden die Wissenschaftler heraus, dass das „Büdchen“, wie man am Rhein sagt, nicht nur die schnelle Einkaufsmöglichkeit bietet, sondern auch Treffpunkt für ein ganzes Viertel sein kann. In Deutschland gibt es laut der Studie mehr als 30 000 Kioske.

Trinkhallenbesitzer Peter Ruhland in Benrath ist seit 38 Jahren Zeitschriftenhändler, Schnapsverkäufer und Seelsorger in einem. „Ich könnte ein dickes Buch darüber schreiben, was mir die Leute schon alles erzählt haben“, sagt der 61-Jährige. Rund 30 Prozent seiner Kunden kommen regelmäßig. „Es gibt sogar welche, die mir aus dem Urlaub eine Ansichtskarte schicken.“

Doch die Zeiten, als der Kiosk die einzige Adresse war, wenn zu später Stunde die Getränke ausgingen, ist vorbei. Erst kamen die 24-Stunden-Tankstellen, neuerdings öffnen viele Supermärkte bis 22 oder 24 Uhr.

Eine Folge der Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes von 2006. Während die fünf größten Anbieter im Lebensmittelhandel mehr als 70 Prozent des deutschen Marktes beherrschen, lassen sich Marktanteile bei den Büdchen kaum berechnen. Sie sind zu klein.

Einen Stadtteil weiter, in Wersten, berichtet Kiosk-Inhaber Gennadi Ostrowski: „Ich habe jeden Tag bis 23 Uhr geöffnet. Ich muss, Sonntag ist der beste Tag.“ Angestellte hat der 31-Jährige aus Kostengründen nicht.

Daher ist er gezwungen, jeden Tag im Laden zu stehen. Bei den Supermärkten in der Nachbarschaft brennt um 22 Uhr noch Licht. Konkurrenzkampf bis zum Schlafengehen. Ostrowski: „Der Kiosk lebt nicht mehr lange.“

Geht mit dem Büdchen ein Stück urbaner Charme verloren? Die aktuelle Studie besagt, dass nur wenige auf ihre Anlaufstelle an der Ecke verzichten möchten. Die wirtschaftliche Entwicklung gibt jedoch andere Vorzeichen.

Auch Urgestein Peter Ruhland glaubt: „In 20 Jahren ist kein Kiosk mehr da. Dann gibt es nur noch Lebensmittelketten.“ Doch dann wird er bereits in Rente sein. „65 Jahre und zwei Monate muss ich“, gibt der Verkäufer seinem Stammkunden Helmut Pietschmann zurück.

Dieser nickt nachdenklich und nimmt derweil sein Wechselgeld entgegen. Ob er sich ein Leben ohne Kiosk vorstellen kann? „Das geht doch gar nicht.“