Kita-Geiselnehmer vor Gericht: „Dann habe ich auf den Teufel gehört“
47-Jähriger nahm Kita-Leiter in Köln als Geisel. Sein Verteidiger schildert ihn als einen entwurzelten Migranten.
Köln. Als der Angeklagte den Gerichtssaal betritt, kneift er die Augen zusammen. Die Blitzlichter blenden ihn. Er wird an seinen Platz geführt, ein Polizist nimmt ihm die Handschellen ab. Der Mann blickt auf seine Hände, allem Anschein nach beschämt. Kann dieser Mann wirklich derselbe sein, der vor einem halben Jahr den Leiter einer Kindertagesstätte als Geisel nahm und zehn Stunden quälte?
Staatsanwalt Elmar Köstner beschreibt, was am 5. April vorgefallen ist. Demnach betrat der Angeklagte an jenem Tag die Kita, gab vor, ein Kind anmelden zu wollen. Im Büro des Leiters zückte er ein 20 Zentimeter langes Messer. Der Pädagoge (51) versuchte anfangs noch, ihm die Waffe zu entreißen, doch dabei verletzte ihn der Angeklagte an den Händen, am Oberkörper und am Bein. Die Erzieherinnen konnten die 17 Kinder und sich selbst in Sicherheit bringen, doch für den Kita-Leiter begannen furchtbare Stunden.
Der Angeklagte legte ihm eine Kabelschlinge um den Hals und stach ihn mit einer Schere in den Rücken. Die Schmerzensschreie sollten der Polizei deutlich machen, dass es ihm ernst war — er forderte drei Millionen Euro und ein Fluchtauto. Nach zehn Stunden griff ein Spezialeinsatzkommando ein, befreite die Geisel und nahm den Täter fest. Jetzt muss er sich vor Gericht verantworten.
Verteidiger Gottfried Reims sagt, er habe sich vor allem mit der Frage beschäftigt, warum es zu der Tat gekommen sei. Dafür müsse man die Biografie des Angeklagten kennen: Geboren in Südostanatolien als Sohn eines Vorarbeiters und einer Hausfrau, bricht er die Schule mit 14 ab, arbeitet mal bei einer Baufirma, mal auf einem Frachter. 1992 geht er nach Deutschland. Aber auch da läuft es nicht besser.
Er heiratet, wird Vater einer Tochter, trennt sich, will von einer Brücke springen, wird aber von der Polizei gestoppt. Er heiratet wieder, die Frau wird ihm von seinen türkischen Verwandten vermittelt. Zwei Söhne kommen zur Welt, aber der Vater ist nun meist ohne Arbeit. Deutsch hat er nie gelernt, Kontakt zu Kollegen immer gescheut. Tagsüber schließt er sich im Schlafzimmer ein, nachts irrt er durch Köln-Chorweiler, eine Trabantenstadt aus den 70er Jahren.
Kurz vor der Tat soll seine Frau zu ihm gesagt haben, dass sie jetzt kein Geld mehr habe, um einkaufen zu gehen. Ein Insolvenzverfahren ist eingeleitet — was das ist, hat der Angeklagte nach Darstellung seines Anwalts nie verstanden. In der Nacht zum 5. April habe er schließlich den Gedanken gefasst, eine Geisel zu nehmen, Geld zu erpressen, seiner Familie damit ein besseres Leben zu ermöglichen. Den Moment, kurz bevor er die Kita betrat, schilderte er seinem Anwalt mit den Worten: „Dann habe ich auf den Teufel gehört, ich bin da reingegangen, und es ist passiert.“ Das ist die Version des Verteidigers. Am Dienstag sagt der Kita-Leiter aus.