Gedächtnis auf der falschen Fährte

Washington/Irvine (dpa) - Unser Gedächtnis kann leicht in die Irre geführt werden. Das gilt einer US-Studie zufolge auch für Menschen mit einem extrem ausgeprägten Erinnerungsvermögen.

Schon geringfügige Suggestionen reichten aus, um die Erinnerungen durcheinanderzubringen, berichtet eine Forschergruppe um Lawrence Patihis von der Universität von Kalifornien im Fachjournal „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften („PNAS“).

Die Psychologen untersuchten für ihre Studie 38 Menschen mit einem normalen Gedächtnis und 20 Personen mit dem sogenannten hyperthymestischen Syndrom (kurz HSAM). Menschen mit HSAM haben ein besonders ausgeprägtes episodisches Gedächtnis. Dieses ist im Gehirn für das Erinnern an persönliche Erlebnisse und Erfahrungen verantwortlich. Problemlos können sich Menschen mit HSAM an Details erinnern, etwa an das Wetter an einem beliebigen Tag vor Jahren.

Die Forscher testeten mit mehreren Aufgaben das Erinnerungsmögen der beiden Gruppen - und zwar mit gezielten Fehlinformationen. Beispielsweise sprachen sie mit die Teilnehmern über einen fiktiven Flugzeugabsturz und baten sie, sich selbst an diese Geschichte zu erinnern. In einem anderen Teil führten sie die Teilnehmer mit einem falschen Lockwort in einer assoziativen Wortkette in die Irre.

„Wir haben festgestellt, dass Menschen mit einem ausgeprägten episodischen Gedächtnis genauso anfällig für die Erinnerungsverfälschungen sind wie die Kontrollgruppe mit dem normalen Gedächtnis“, schreiben die Forscher.

Die Schwachstelle liegt nach Angaben der Forscher in dem Rekonstruktionsmechanismus. Das menschliche Gedächtnis setze Erinnerungen aus Informationsbruchstücken und Indizien zusammen. Dabei könne es durch fremde Einflüsse und eigene Idealvorstellungen zur Neuinterpretation der Szenen kommen. Lange hatte man in der Psychologie angenommen, dass Menschen mit dem hyperthymestischen Syndrom weniger anfällig für diese Verfehlungen des Gedächtnis sind.

Ihre Beobachtungen sehen die US-Forscher als ein Indiz dafür, dass Erinnerungsverfälschungen ein weit verbreitetes Phänomen sind. „Unsere Erkenntnisse sind für die klinische Psychologie und für die Justiz von großem Wert, gerade wenn es um die Bewertung von Falschaussagen geht“, schreiben die Wissenschaftler.