Mülheim-Kärlich Kontrollierter Kollaps: AKW-Kühlturm Mülheim-Kärlich liegt in Trümmern
Mülheim-Kärlich · Deutlicher kann der Atomausstieg kaum vor Augen geführt werden: Krachend stürzt der Kühlturm des AKW Mülheim-Kärlich zusammen. In nicht einmal dreieinhalb Jahren geht in Deutschland das letzte AKW vom Netz. Geschafft ist der Ausstieg damit trotzdem noch längst nicht.
Kurz vor dem großen Moment kommt die Sonne hinter den Wolken hervor - dann versinkt der einst weithin sichtbare Kühlturm des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich bei Koblenz in einer Staubwolke. Damit ist ein entscheidender Schritt beim Rückbau dieses Meilers geschafft, der nur 13 Monate am Netz war.
Die Abschaltung liegt mehr als 30 Jahre zurück. Der endgültige Turmabriss stehe für „das Ende der gefährlichen Atomenergie in Rheinland-Pfalz“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die am Freitag extra auf das Kraftwerksgelände gekommen war.
Der Rückbau des RWE-AKW Mülheim-Kärlich läuft seit 2004, die letzten Brennelemente wurden bereis im Sommer 2002 abtransportiert. Bis das Kraftwerk ganz zurückgebaut sein wird, wird vermutlich noch ein Jahrzehnt vergehen. Noch sind etwa der Reaktordruckbehälter und der Dampferzeuger im Reaktorgebäude. Am Ende wird eine Gesamtmasse von 500 000 Tonnen weggeschafft sein. Teile des Generators etwa kamen schon nach Ägypten, wo sie in einem konventionellen Kraftwerk eingesetzt werden.
Am Kühlturm hatte einst auch ein Falke seinen Horst, er wurde extra umgesiedelt auf einen nahe gelegenen Funkmast. Arbeiteten einst 650 Menschen in dem AKW, waren es in den vergangenen Jahren deutlich weniger, die den stückweisen Abbau vornahmen. „Hausbau rückwärts“, nannte das ein RWE-Sprecher. Viel wurde über die Nachnutzung des Geländes diskutiert. Mal wurde an ein Kohlekraftwerk gedacht, das verwarf RWE. Strom wird hier künftig nicht mehr produziert, nach und nach werden Flächen in eine andere gewerbliche Nutzung überführt, einen Teil des Areals hat beispielsweise eine Kranfirma gekauft.
Der Maler Anselm Kiefer hatte sogar den Plan, den Kühlturm für ein Kunstprojekt zu erwerben. Dem erteilte 2011 die damalige rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke eine Absage. „Sein Interesse, in Rheinland-Pfalz zu arbeiten, freut uns“, sagte die Grünen-Politikerin damals. „Aber das Objekt seiner Begierde ist für uns dann am interessantesten, wenn es verschwunden ist.“
Das ist jetzt der Fall und fühlt sich noch etwas seltsam für Menschen aus der Gegend an. Thomas Przybylla (CDU), Bürgermeister der Verbandsgemeinde Weißenthurm, deren größte Kommune Mülheim-Kärlich ist, sagt: Über Jahrzehnte habe der Kühlturm das Erscheinungsbild der Region geprägt. „Es wird sicherlich eine Zeit lang dauern, bis man sich hier an das neue Panorama gewöhnt hat.“
Auf dem Rückzug ist die Kernkraft in Deutschland weit über die Stadt in Rheinland-Pfalz hinaus. Noch sind sieben Reaktoren zur Stromerzeugung in Betrieb. Bis Ende dieses Jahres scheidet Philippsburg 2 aus, bis Ende 2021 sind Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C dran. Die drei letzten sind Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. Am 31. Dezember 2022 ist Schluss. Rückgebaut wird derzeit an einer ganzen Reihe von AKW-Standorten.
Geschafft ist der Atomausstieg damit noch lange nicht. Ein Endlager für hoch radioaktiven Atommüll gibt es noch nicht. An Atomkraftwerken oder in der Nähe wurden Zwischenlager gebaut, außerdem gibt es zentrale Zwischenlager in Gorleben, Ahaus und bei Lubmin. Dass die ausreichend geschützt sind, etwa auch vor Terrorangriffen, bezweifeln Kritiker.
Problematisch außerdem: In den 30er Jahren laufen Genehmigungen aus. Bis dahin wird es kein Endlager geben. Die Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall hatten 2017 insgesamt knapp 24 Milliarden Euro für die Zwischen- und Endlagerung des Nuklearmülls an einen Staatsfonds überwiesen. Anlage-Experten sollen daraus bis zum Jahr 2100 rund 169 Milliarden machen. So viel kostet die Entsorgung Prognosen zufolge. Viele sind skeptisch, ob es gelingt, das Geld so zu vermehren und ob es am Ende reicht.
„Neben dem Rückbau der Kraftwerke liegt die große gesellschaftliche Herausforderung in der Entsorgung ihrer hoch radioaktiven Abfälle“, sagt die Vizepräsidentin des Bundesamts für Entsorgungssicherheit, Silke Albin. „Sie sind eine Gefahr für Hunderttausende von Jahren.“