Krach in der Koalition stürzt Jobcenter in die Krise
Vor Ort: Bei einem Scheitern der Reform wird es auch für 45000 Wuppertaler viel komplizierter, Hartz-IV-Leistungen zu erhalten.
Wuppertal. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und so hofft man in der Wuppertaler Arge ebenso wie in den übrigen bundesweit rund 350 Jobcentern weiter auf eine Lösung, deren Zustandekommen aber immer unwahrscheinlicher wird.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die gemeinsame Zuständigkeit von Bund und Kommunen für die Jobcenter als verfassungswidrig eingestuft - und der Politik eine Frist bis Ende 2010 eingeräumt. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) und die Länder unter Führung von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) wollten deshalb das Grundgesetz ändern. Doch die CDU-Bundestagsfraktion blockiert - mit Folgen auch für die von der Wuppertaler Arge betreuten 32000 Bedarfsgemeinschaften.
"Hinter dieser Zahl verbergen sich mehr als 45000 Menschen", sagt Eva Gienger, stellvertretende Geschäftsführerin der Wuppertaler Arge. Mehr als 45000 Menschen also, die derzeit bei der Wuppertaler Arge alle Sozialleistungen aus einer Hand erhalten - vom Arbeitslosengeld II und Sozialgeld für die Kinder über Mietkosten und Heizung bis zu Sonderzahlungen für eine Klassenfahrt oder für Kleidung. "Für jede Bedarfsgemeinschaft ist jeweils ein Berater zuständig, der alle Anträge prüft und darüber entscheidet, und der natürlich seine Kunden kennt. Es läuft im fünften Jahr unseres Bestehens zwar noch nicht alles perfekt, aber es läuft immer besser", sagt Eva Gienger.
Findet die geplante Reform jedoch nicht statt, müssen die Jobcenter spätestens Ende 2010 wieder aufgeteilt werden: Dann müssen die Arbeitsagenturen wieder Betreuung und Vermittlung der Langzeitarbeitslosen übernehmen sowie den Regelsatz auszahlen. Die Kommunen wiederum müssten Wohnkosten und sonstige Sozialleistungen ausgeben.
Gienger: "Die Kunden müssen dann natürlich wieder zu zwei unterschiedlichen Stellen gehen, dort jeweils im Prinzip dieselben Unterlagen vorlegen - und laufen dabei aber Gefahr, dass diese Unterlagen unterschiedlich interpretiert werden, weil es sich um zwei unterschiedliche Stellen handelt."
Und dies betrifft nur die "Neukunden" ab 2011. Denn für diejenigen, die jetzt schon Sozialleistungen nach den Hartz-IV-Gesetzen erhalten, wird die Sache komplizierter: Auf jeden Fall müssen deren Akten kopiert werden, weil es dann zwei Bewilligungsstellen gibt. Gienger: "Wegen der dann neuen Zuständigkeiten müssten vielleicht sogar alle bereits bewilligten Leistungen erneut bewilligt werden."
Absehbar sind für den Fall eines Auseinanderreißens der Jobcenter jedoch schon jetzt die Kommunikationsprobleme zwischen den Bewilligungsbehörden. "Es gibt auch Leistungsempfänger, die sich unseren Maßnahmen bewusst entziehen", sagt Gienger. Für solche Fälle sieht das Gesetz Sanktionen vor, nämlich Kürzung der Leistungen. Darüber muss dann die Arbeitsagentur die Kommune informieren, damit diese reagieren kann.
Aber auch im Integrationsbereich droht ein Kommunikations-Chaos. Gienger: "Viele unserer Kunden sind krank oder körperlich behindert, haben möglicherweise Suchtprobleme oder benötigen eine Schuldner-Beratung. Während jetzt der jeweilige Fallmanager die notwendigen Maßnahmen sofort selbst einleiten kann, wären im Falle einer Auflösung der Jobcenter mehrere Stellen zuständig. Die Zahl der Schnittstellen würde deutlich größer."
Und mit jeder Schnittstelle wächst die Gefahr von Fehlentscheidungen, die in Klagen vor den Sozialgerichten münden. Die aber sind schon jetzt überlastet: Allein im vergangenen Jahr stiegen die Hartz-IV-Verfahren an den NRW-Sozialgerichten um durchschnittlich 23Prozent an.
Die ungewisse Hängepartie hat auch Auswirkungen auf die letztlich zusammengewürfelten Mitarbeiter der Jobcenter: In Wuppertal wie in den übrigen Jobcentern arbeiten neben kommunalen Mitarbeitern und solchen der Arbeitsagentur auch ehemalige Post-, Bahn- und Telekom-Mitarbeiter, teils Beamte, teils Angestellte im Öffentlichen Dienst - alle mit unterschiedlichen Tarifverträgen, alle mit unterschiedlichen Arbeitszeiten und Vergütungen. "Das ist organisatorisch nicht ganz einfach, aber wir haben uns in den vier Jahren unseres Bestehens einigermaßen organisiert", sagt Gienger.
Was sie nicht sagt: Unter den Mitarbeitern der Jobcenter greift ob der ungewissen Hängepartie immer mehr Unruhe um sich. Grund: Die Kommunen stellen weitaus mehr Mitarbeiter in den Argen als für die Aufgaben der Kommune benötigt werden. Was mit diesen Leuten im Falle einer Trennung geschehen soll, ist offen. Nicht wenige bemühen sich bereits um Versetzung zurück auf kommunale Stellen - und das sind häufig die guten Mitarbeiter.