Kranke Politiker: Die Nebenwirkungen der Macht
Gesundheitliche Folgen der Politik werden oft geleugnet.
Berlin. Er soll schon wieder SMS schreiben. Auch im Krankenbett. Alles im grünen Bereich. "Nichts Akutes", sagte Fraktionschefin Renate Künast über ihren Parteifreund Jürgen Trittin.
Akut? Ist es nie. Nicht in der ersten Reaktion. Erst nach 24 Stunden wurde eingeräumt, was sich nicht verheimlichen ließ: Der Grünen-Politiker erlitt einen Herzinfarkt. Trittin dürfte nun einige Wochen lang pausieren.
"Es gehört nicht zum Bild eines Politikers, krank und schwach zu sein", räumte Horst Seehofer mal ein. Das ist fünf Jahre her, Seehofer war mit der Politik fertig. Unwillkürlich fragt man sich, ob er sich heute - inzwischen bayrischer Ministerpräsident - noch einmal so eine offene Minute leisten würde.
Geredet wird über den Stress, über die Stunden der Erschöpfung, wenn überhaupt, nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. In erster Linie gehört es vor allem nicht zum Selbstbild des Politikers, krank zu sein. Wenn einer nicht gerade wie Franz Müntefering im Wahlkampf 2005 auf offener Bühne zusammenklappt, läuft das Krisenmanagement auf eins hinaus: leugnen.
Als Willy Brandt 1978 einen Herzinfarkt erlitt, war es eine Erkältung. Bei Hans-Dietrich Genscher sprach man von einer Grippe. Und als der damalige Verteidigungsminister Peter Struck 2004 einen leichten Schlaganfall hatte, wurde der als Schwächeanfall verschleiert.
Niemand weiß, ob Politiker stärker als Menschen in anderen Stressberufen gefährdet sind. In Deutschland gibt es darüber keine Studien. "Es wäre eine spannende Frage", meint der Medizinsoziologe Johannes Siegrist von der Universität Düsseldorf. Wohl aber kann der Professor erklären, wann eine kritische Grenze erreicht ist: Wenn einer viel, hart gefordert ist und seine Kontrolle darüber aber begrenzt ist. "Wenn das so erlebt wird, verdoppelt sich das Risiko eines Herzinfarktes", sagt Siegrist.
Politikern fällt allein schon das Eingeständnis der Krankheit schwer. Helmut Schmidt wurde zum Ende seiner Kanzlerschaft bewusstlos im Arbeitszimmer gefunden - erst lange danach wurde der Vorfall bekannt.
Ein hoher geistlicher Würdenträger, der Anfang Januar in Berlin zu Gesprächen bei den Parteien war, wunderte sich hinterher im kleinen Kreis darüber, "unter welcher Hetze Politik stattfindet". Tage, die oft von morgens acht bis 22 Uhr gehen. Dann nimmt man noch Akten mit nach Hause, die gezeichnet werden müssen; und für den nächsten Morgen hat der Sprecher einen schon für das erste Radio-Interview eingeteilt.
Der Stress macht anfällig für Herz- und Kreislauferkrankungen. Und die suchtähnliche Suche nach mehr Anerkennung führt zu einer berufsbedingten Sehstörung: Warnsignale werden dann übersehen. Seehofer ignorierte eine Erkältung und Erschöpfung, bis die Grippe seinen Herzmuskel angegriffen hatte. Gleiches passierte dem CDU-Mann Wolfgang Bosbach.