Krim-Krise beim Weltatlas

Russland ist im Diercke-Nachschlagewerk grün markiert, die Ukraine gelb — für die annektierte Halbinsel muss eine Lösung her.

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Braunschweig. Ganz gleich ob Sudan, Kaschmir oder jetzt die Ukraine — die Konflikte der Welt reichen bis nach Braunschweig in die Redaktion des Diercke-Atlas’. Kartographen und Redakteure tüfteln hier an Computern und brüten über Karten. Sie machen sich Gedanken, wie Staaten, Grenzverläufe und Ozeane für den Unterricht am besten darzustellen sind.

Seit mehr als 130 Jahren lernen Schüler mit Hilfe des Atlaswerkes, die Erde zu verstehen. Jedes Jahr gibt es einen Neudruck, etwa alle fünf Jahre werden die fast 50 verschiedenen Atlanten der Verlagsgruppe Westermann komplett überarbeitet.

Mitten in der Ukraine-Krise geht es derzeit darum, wie die von Russland annektierte Halbinsel Krim künftig auf der Landkarte aussehen könnte. „Da haben wir schon eine Lösung, die wir zücken können“, sagt Redakteur Reinhold Schlimm. Voraussichtlich werde man die Grenze durch eine gestrichelte Linie kennzeichnen, jedoch bleibe die Krim auf der Karte weiterhin gelb wie die Ukraine und nicht grün wie Russland. Der textliche Hinweis könne „von Russland verwaltet“ lauten, sagt Schlimm. „Das ist am neutralsten.“ Jedes Jahr müssen die Autoren Lösungen für die Darstellung von einem Dutzend neuer Konflikte suchen.

Die Kartenmacher stehen in Kontakt zu rund 200 Experten und Institutionen. Bei politisch strittigen Fragen haben die Kultusministerkonferenz und das Außenministerium das letzte Wort. So ist beispielsweise der Kosovo als Staat eingezeichnet, weil Deutschland ihn — anders als andere UN-Mitgliedsstaaten — als unabhängig anerkannt hat. Nach Einschätzung der Redakteure wird die EU noch lange darauf beharren, dass die Krim zur Ukraine gehört.

„Karten sind keine unpolitischen Darstellungen der Realität“, betont Georg Stöber vom Georg-Eckert-Institut in Braunschweig, dem Leibniz-Institut für Schulbuchforschung. „Politik spielt in die Schule, spielt in die Erziehung hinein.“ Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Deutschland in den Grenzen von 1914 dargestellt, nach dem Ende der Nazi-Diktatur in den Grenzen von 1937. „Der Begriff DDR wurde nicht verwendet“, sagt Stöber. Der Einfluss der Politik sei in anderen Ländern aber größer als in Deutschland.

Das spüren auch die Atlas-Autoren. Sie bekommen massenweise Briefe von Lehrern, Schülern und an Erdkunde interessierten Bürgern. Manchmal stehen Diplomaten in der Redaktion und bringen Beschwerden vor. „Der Streit zwischen Japan und Südkorea fällt auf uns zurück“, sagt Schlimm. „Die Südkoreaner ärgern sich darüber, dass ihr Ostmeer bei uns Japanisches Meer heißt. Die Japaner passen auf, dass es dabei bleibt.“ Als diplomatische Lösung steht jetzt in Klammern Ostmeer hinter dem Japanischen Meer.

Knifflig sind Ortsnamen. Nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1991 sind ausländische Städte und Orte mit den herkömmlichen deutschen Namen zu benennen. In Klammern soll dazu der Name in der Landessprache stehen, etwa Gdansk für Danzig. Doch Kritiker halten es für altbacken, für jede kleine polnische Stadt einen deutschen Namen hervorzukramen, der möglicherweise gar nicht mehr gebräuchlich ist. Der Ständige Ausschuss für geografische Namen berät die Bundesregierung in diesen Fragen. Geschäftsführer Bernd Beinstein sagt: „Wir empfehlen wie die Vereinten Nationen, möglichst die Originalform zu nehmen, also Warszawa statt Warschau.“