Nach Sportunfall im Rollstuhl Kristina Vogel: „Aus viel Mist ist viel Gutes entstanden“

Frankfurt. · Kristina Vogel war die beste Bahnradsportfahrerin der Welt – bis sie im Training mit einem anderen Fahrer kollidierte und seitdem im Rollstuhl sitzt. Ihren Lebensmut hat sie nicht verloren.

Kristina Vogel war Botschafterin der Bahnrad-WM in Berlin.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Kristina Vogel ist mit elf WM-Titeln die erfolgreichste Bahnradsportlerin aller Zeiten. Bei einem Trainingsunfall im Juni 2018 erlitt sie eine Querschnittlähmung.

Frau Vogel, sie waren bei der Bahnrad-WM in Berlin als TV-Expertin im Einsatz. Wie wichtig ist es Ihnen, weiterhin Teil des Ganzen zu sein – jetzt eben aus der Perspektive einer TV-Expertin?

Kristina Vogel: Natürlich sehr. Ich brenne dafür. Ich glaube, dass ich der Sportart noch etwas zu geben habe. So lange man mich da noch haben will und noch hören möchte, versuche ich, mein Wissen und meine Erfahrung weiterzugeben.

Sie engagieren sich neben dem Bahnradsport auch in der Politik. Seit dem vergangenen Sommer sitzen Sie als Parteilose für die CDU im Stadtrat von Erfurt. Einer Ihrer Themenschwerpunkte ist die Inklusion. Wie haben Sie sich als Stadträtin eingelebt?

Vogel: Erst einmal ging es ja darum zu schauen, wie das alles funktioniert. Zum Beispiel, wie man einen Antrag stellt. Wo geht das hin? Das ist alles neu für mich gewesen. Als Athlet ist man unheimlich zielorientiert. Für jedes Problem will man sofort eine Lösung. So war ich in der Politik am Anfang auch. Ich musste aber lernen und verstehen, warum es manchmal so lange dauert, bis es eine Lösung gibt. Demokratie bedeutet eben, dass man sich gegenseitig anhört. Auch andere Meinungen. Manchmal denkt man ja, dass die eigene Meinung die einzig richtig ist. Dann hört man eine andere und stellt fest: Ja, das ist auch eine gute Sicht der Dinge. Deswegen dauert Politik manchmal etwas länger, als man es sich wünschen würde.

Politik ist die Suche nach Kompromissen. Im Leistungssport geht man nur ungern Kompromisse ein.

Vogel: Im Sport hast du nur eine Richtung und ein Ziel: irgendwann die Goldmedaille zu gewinnen. In der Politik muss es manchmal um die Ecke gehen, um dann das richtige Ergebnis zu erreichen für die Stadt. Manchmal ist es auch nicht das beste Ergebnis, sondern eben das beste demokratische Ergebnis.

Macht Ihnen Politik Spaß?

Vogel: Zunehmend, ja. Manchmal denkst du dir schon: Ach Gott, warum diskutieren wir hier jetzt schon wieder so lange. Da kommt dann der Athlet wieder durch. Es ist aber auch schön, weil ich meine Heimat noch einmal anders kennen lerne. Mit so vielen Facetten, die man vorher gar nicht wahrgenommen hat.

In den den Sozialen Netzwerken weisen Sie auf Missstände in der Gesellschaft im Umgang mit Menschen mit Behinderung hin. Sei es die Bahn, die es nicht schafft, Sie und ihren Rollstuhl zu transportieren. Seien es Autofahrer, die auf Behindertparkplätzen stehen. Sehen Sie sich als Vorkämpferin für die Rechte von Menschen mit Behinderung?

Vogel: Ich hasse Ungerechtigkeit. Ich habe durch meinen Unfall eine laute Stimme bekommen. Und die möchte ich nutzen, so lange man mich noch hört. Wenn ich zum Beispiel mit dem Parkplatz-Thema zwei Menschen erreichen kann, die da beim nächsten Mal nicht mehr parken, dann sind das zwei weniger als vorher. Dann ist was gewonnen.

Wie sind denn die Reaktionen auf solche Aktionen?

Vogel: Mal so, mal so. Es gab natürlich welche die mir geschrieben haben, sie hätten im Bekanntenkreis Freunde, die abends auf Behindertenparkplätzen parken. Denn es gebe ja keine Rollstuhlfahrer, die abends in den Klub oder in die Bar gehen. Ich frage mich dann: Warum denken die so? Oft liegt es daran, dass sie keinen Kontakt zu Menschen im Rollstuhl haben. Und die meisten Klubs sind ja tatsächlich nicht barrierefrei. Es ist für mich ein Problem der Inklusion. Wenn die Fußgänger keinen Kontakt zu irgend einer Form von Behinderung haben, dann kann das Bewusstsein dafür gar nicht wachsen. Und wenn ich keine Kontaktpunkte in die Mitte der Gesellschaft habe, dann bin ich frustriert und fühle mich benachteiligt. Das ist ein hartes Spannungsfeld, was da entstehen kann.

Was nervt Sie mehr: Mitleid oder Ignoranz?

Vogel: Ich glaube Ignoranz. Mitleid ist ja irgendwie ein Bedürfnis, mir zu helfen. Auch wenn ich so selbstbewusst und stark bin, dass ich das schon schaffe. Der Rollstuhl ist keine Strafe, sondern Teil meines Lebens. Das kann jedem passieren. Ignoranz dagegen tut weh. Es gibt eben Leute, die brauchen Hilfe, um an der Gesellschaft teilnehmen zu können. Wenn das jemand ignoriert und sich das Recht heraus nimmt, damit falsch zu liegen – das ist frech. Das ist egoistisch auf eine böse Art. Es gibt den Spruch: Tue jeden Tag eine gute Tat. In so einer Gesellschaft will ich leben.

Hilft Ihnen das Leben und Trainieren als Spitzensportlerin, mit Ihrer jetzigen Situation zurechtzukommen?

Vogel: Was man als Athlet lernt ist, dass das Ergebnis schon kommt, wenn man dran bleibt. Im Sport ist das natürlich besser messbar als im Alltag. Aber das Prinzip ist das gleiche: Wenn man etwas möchte und dafür investiert, dann kann das funktionieren.

Gibt es trotzdem noch Momente, in denen Sie mit Ihrem Schicksal hadern?

Vogel: Diese Momente hatte ich eigentlich nie. Natürlich gibt es immer mal Situationen, in denen dich das alles nervt. Ich bin auch keine Maschine und habe mal schwache Momente. Aber alles in allem sage ich: Aus ganz viel Mist ist ganz viel Gutes entstanden.