Millionen Betroffene Coronavirus: Die Risikogruppen sind mitten unter uns
Düsseldorf · Für gesunde und junge Menschen ist das Coronavirus wohl nicht so schlimm. Für Ältere, Behinderte, Herz-, Diabetes- und Krebskranke aber schon und damit sind Millionen Menschen auf Vorsicht angewiesen.
„Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen“ - das ist seit Wochen die verkürzte Standardaussage über die Risikogruppen, die bei einer Infektion durch das Coronavirus verstärkt mit einem schweren Krankheitsverlauf rechnen müssen. Viele hören diesen Hinweis in erster Linie als Beruhigung: Ich bin gesund und noch nicht alt, mir kann nichts passieren. Das scheint auch zumindest ein Grund für die vielerorts immer noch zu beobachtende Sorglosigkeit im Umgang mit den behördlichen Anordnungen und Appellen zu sein. Aber ein genauerer Blick zeigt: Die Risikogruppen sind nicht irgendwo, sie sind mitten unter uns - in den Familien und im Verwandtenkreis, am Arbeitsplatz und bei den Freunden.
„Hi, wir sind‘s. Die #Risikogruppe.“ So begann Anfang der Woche der Appell einer Gruppe von Menschen mit Behinderungen um den von der Glasknochenkrankheit betroffenen Berliner Aktivisten Raul Krauthausen (39). „Du hast gedacht, wir wären kettenrauchende Todkranke oder zumindest alt? Weit gefehlt. Keiner von uns ist Rentner und wir gehen genauso gerne wie du in Clubs, Bars und auf Konzerte. Worauf wir keinen Bock haben, ist sterben.“
„Doch das ist alles noch kein Grund zu sterben - finden wir“
Und dann stellen sich die Verfasser vor: Denis, Amelie und Oli sind unterhalb der Halswirbelsäule gelähmt und können nur schlecht abhusten. Kati hat Spina Bifida und ein Lungenvolumen von einem halben Liter. Und so geht es weiter. „Doch das ist alles noch kein Grund zu sterben - finden wir. Ich hoffe, du auch. Also halte dich an die Empfehlungen und rette Menschenleben - das von uns, aber auch von vielen anderen #Risikogruppen.“
In der Tat finden sich gerade unter Behinderten auch viele junge Menschen, die gefährdet sind. „In unseren Förderschulen für körperliche und motorische Entwicklung haben wir viele Kinder, die immungeschwächt und schwerst mehrfachbehindert sind“, sagt Michael Sturmberg vom Landschaftsverband Rheinland. Aber die Bundesregierung führt noch viele andere Risikogruppen auf.
Das Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung steigt schon ab einem Alter von etwa 50 bis 60 Jahren. Raucher gelten generell als gefährdet. Und dann beginnt die Auflistung der „Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen“: Das sind Menschen mit Erkrankungen des Herzens (zum Beispiel koronare Herzerkrankungen) oder der Lunge (zum Beispiel Asthma oder chronische Bronchitis), mit chronischen Lebererkrankungen, Diabetes, Krebs oder einem geschwächten Immunsystem (das auch schon durch die Einnahme bestimmter Medikamente wie Cortison hervorgerufen werden kann).
Beispiel Diabetes: Schätzungen zufolge leben in Deutschland rund sieben Millionen Menschen mit Diabetes - und zwei Millionen davon wissen es gar nicht. Die International Diabetes Federation geht sogar von 9,5 Millionen aus.
Beispiel Krebs: Das Robert-Koch-Institut, durch seine tägliche Analyse der Corona-Epidemie derzeit in aller Munde, prognostiziert für das laufende Jahr etwa 510.000 neu diagnostizierte Krebserkrankungen. Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums lebten 2016 in Deutschland 1,67 Millionen Krebskranke, deren Diagnose nicht länger als fünf Jahre zurücklag.
Beispiel Herz: Der Deutsche Herzbericht verzeichnete für das Jahr 2017 mehr als 1,71 Millionen Menschen, die mit einer Herzerkrankung in ein Krankenhaus eingewiesen wurden.
Das macht deutlich: Es sind Millionen Menschen aller Altersgruppen, die derzeit in begründeter Sorge vor einer Infektion leben - und in besonderem Maße auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind, die rasante Verbreitung des Virus so gut es geht zu verhindern. Gleichzeitig besteht ein enormer Bedarf an Aufklärung für diese Risikogruppen.
Diabetes: Problematisch sind die Begleiterkrankungen
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) sieht bei gesunden Diabetespatienten mit einer guten Blutzuckereinstellung „nicht mehr Gefahr als bei einem herkömmlichen Grippevirus“, sagt Präsidentin Monika Kellerer. Bei Begleit- und Folgeerkrankungen der Diabetes sei aber besondere Achtsamkeit erforderlich, so die DDG. Lieferengpässe bei Diabetesmedikamenten werden nicht befürchtet.
Auf der Internetseite des Deutschen Krebsforschungszentrums (krebsinformationsdienst.de) werden zahlreiche Fragen beantwortet. Als besonders gefährdet gelten Krebspatienten, deren Immunsystem aktuell geschwächt ist, zum Beispiel bei einer Leukämie oder einem Lymphom, bei zu wenig weißen Blutkörperchen, zu niedrigen Antikörperwerten oder einer dauerhaften Medikamenteneinnahme zur Unterdrückung des Immunsystems.
Die Deutsche Herzstiftung sieht aufgrund der bisherigen statistischen Befunde zwar Vorsicht geboten, aber keinen Grund zur Panik. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (Kinderkardiologie) erklärte am Donnerstag, es sei im Augenblick nicht notwendig, Kinder allein aufgrund eines angeborenen Herzfehlers zu isolieren.
Generell rät das Robert-Koch-Institut (rki.de) aber allen Risikogruppen zur „größtmöglichen Minderung des Risikos einer Infektion“. Was das im konkreten Einzelfall bedeutet, klärt am besten der betreuende Haus- oder Facharzt.